Home In Memoriam † Wiktorija Roschtschyna 1996-2024

† Wiktorija Roschtschyna 1996-2024

by Thomas Wendtland

Der Krieg in der Ukraine dauert inzwischen ins vierte Jahr – ein Krieg, der Städte verwüstet, Familien zerreißt und Generationen traumatisiert. Doch es ist nicht allein der Krieg, der Tod und Verzweiflung bringt. Viel zerstörerischer wirkt das System dahinter: Putins Russland – ein Regime, das sich in seiner Kälte, Berechnung und Gier längst vom Menschlichen verabschiedet hat. Es ist zu einem der verbrecherischsten Systeme unserer Zeit geworden – nicht aus Notwehr, sondern aus Kalkül, Machtgier und ideologischer Verblendung. Und es ist dieses System, das auch Wiktorija Roschtschyna mit sich gerissen hat – eine junge Frau, die nur eine Aufgabe hatte: berichten, was ist. Nun ist sie tot. So sinnlos wie viele vor ihr.

Sie war unterwegs, nicht um Schlagzeilen zu jagen, sondern um dem Schweigen dort Worte abzuringen, wo andere längst verstummt waren. Wiktorija Roschtschyna, geboren 1996 in Saporischschja, war eine jener Reporterinnen, deren Mut nicht in der Pose lag, sondern in der Entscheidung, dorthin zu gehen, wo jede Geschichte das Leben kosten konnte – in die besetzten Gebiete, zu den Schattenrändern der Wahrheit.

Was sie dort sah, werden wir nie erfahren. Es war eine Recherchereise, geplant wie viele zuvor, sorgfältig vorbereitet, doch diesmal kehrte sie nicht zurück. Wochen vergingen ohne ein Lebenszeichen, dann Monate des Wartens, des Hoffens, des Schweigens auf offizieller Ebene. Erst viel später bestätigte sich, was viele befürchtet hatten: Sie war in russischer Haft – und dann plötzlich nicht mehr.

Als man ihre Leiche schließlich übergab, war sie nicht mehr Wiktorija – der Körper, den man der Ukraine überstellte, war entstellt und seiner letzten Wahrheiten beraubt. Brandspuren an den Füßen ließen erahnen, was sie durchlitten haben könnte, doch die Verstümmelungen gingen weiter – ihr Gehirn fehlte, ihre Augen waren entfernt worden, ebenso Teile ihres Kehlkopfs. Es war, als hätte man nicht nur eine Frau gefoltert und getötet, sondern als wolle man rückwirkend auslöschen, was sie gesehen, gedacht, geschrien haben könnte.

Das gebrochene Zungenbein – eine jener stummen Spuren, die von Strangulation zeugen können – war noch da. Doch der Kehlkopf war herausgeschnitten, vielleicht um genau das zu verhindern: eine Spur, ein Beweis, ein Anklagepunkt. Was bleibt, ist ein Hohn auf jede Konvention der Menschlichkeit: ein Leichnam, ausgehöhlt und umgebaut, damit selbst der Tod keine Geschichte mehr erzählen kann.

Denn dies ist kein Einzelfall. Es ist das Abbild eines Systems – des Systems Russland, geschaffen von Wladimir Putin, errichtet auf Angst, erhalten durch Lüge, genährt von Gewalt. Ein System, das Demokratie nicht anerkennt, Fehler nicht eingesteht, sondern sie zudeckt, das die eigene Bevölkerung unterdrückt und tötet, wenn es dem Machterhalt dient. Ein Staat, der sich die Maske der Stärke aufsetzt, indem er alle Schwächen ausmerzt – notfalls Menschen.

Und während wir im Westen darüber debattieren, ob man mit einem solchen Regime „in Freundschaft leben“ solle – wie es Politikerinnen wie Sahra Wagenknecht und Alice Weidel in wohlgesetzten, aber inhaltlich hohlen Appellen zur „Dialogbereitschaft“ fordern –, verlieren wir aus dem Blick, was dieser Dialog tatsächlich bedeutet: Unterwerfung unter ein System, das Mutige tötet und Kritik ausradiert.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nannte Wiktorija Roschtschynas Tod einen „schweren Schlag“ für die ukrainische Pressefreiheit. Die Europäische Union, Reporter ohne Grenzen, die International Women’s Media Foundation sowie das Komitee zum Schutz von Journalisten fordern eine unabhängige Untersuchung. Und sie fordern sie zu Recht. Denn dieser Fall betrifft nicht nur die Ukraine. Er ist ein Angriff auf den Journalismus selbst – und somit auf jene, die täglich versuchen, der Wahrheit einen Raum zu geben, selbst wenn dieser Raum schrumpft.

Alle Journalistinnen und Journalisten dieser Welt sollten ihre Stimme erheben gegen ein System, das Menschen raubt, das Hoffnung zerschlägt, nur weil einer den „großen Bären“ reiten will, während sich seine Helfer und Helfershelfer in einer Gier bereichern, die keine Grenzen kennt. In Russland sterben Menschen, weil sie eine Meinung haben. Weil sie Fragen stellen. Weil sie nicht schweigen wollen. Und hierzulande gibt es Stimmen, die bereit sind, diesem System Tür und Tor zu öffnen – im Namen des Friedens, der nichts anderes wäre als ein Schweigegebot unter Drohkulisse.

Udo Lindenberg fragte einst in einem Song: „Die Russen, die sind schlecht? Ich fragte: Welcher denn?“ – und gerade dieser Satz verweist auf das Dilemma. Es geht nicht um ein Volk. Es geht um ein System, das Tod und Folter zur Alltagserfahrung gemacht hat. Eine Verrohung, die sich im Körperbild dieser toten Journalistin kristallisiert: Wiktorija Roschtschyna – mutig, präzise, unbequem. Nun schweigt sie. Und wir, wenn wir anständig sind, reden weiter für sie.

Zur Person: Wiktorija Roschtschyna

  • Geboren: 6. Oktober 1996 in Saporischschja, Ukraine
  • Beruf: Investigativjournalistin, tätig für Ukrajinska Prawda, Radio Free Europe und Hromadske
  • Auszeichnung: 2022 mit dem Courage in Journalism Award der International Women’s Media Foundation geehrt
  • Schwerpunkte: Recherchen zu Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und der Lage in russisch besetzten Gebieten
  • Verschwunden: August 2023 bei einer Recherchereise in der Region Saporischschja
  • Inhaftierung: Von russischen Behörden im April 2024 bestätigt
  • Tod: Am 19. September 2024 unter ungeklärten Umständen in russischer Haft gestorben
  • Leichnam übergeben: Februar 2025 – mit massiven Folterspuren, ohne Augen, Gehirn und Teile des Kehlkopfs
  • Quelle: Wikipedia – Wiktorija Roschtschyna

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