Es beginnt oft beiläufig. Man hört hin – und stellt fest, dass da nichts mehr ist, was einen betrifft. Die Stimmen der Politik reden weiter, doch sie erreichen nicht mehr das Ohr derer, für die sie eigentlich sprechen sollten. Viele Jugendliche haben innerlich längst abgeschaltet. Nicht, weil sie zu bequem wären. Sondern weil ihnen niemand mehr das Gefühl gibt, dass ihre Fragen eine Rolle spielen.
Was als Desinteresse erscheint, ist oft Enttäuschung. Eine Enttäuschung, die sich über Jahre aufgebaut hat. Denn wer jung ist in diesem Land, kennt vor allem eines: das Gefühl, zu spät zu kommen. Zu spät für die Wohnung, zu spät für das Studium ohne Schulden, zu spät für den bezahlbaren Führerschein, zu spät für politische Mitsprache. Der öffentliche Raum, der früher auch ein Raum für Utopien war, ist schmal geworden. Und dort, wo er noch besteht, wirken die Gesichter wie Dauergäste. Dieselben Politiker, die schon vor Jahren über soziale Gerechtigkeit sprachen, sprechen noch immer – ohne dass sich für viele etwas verbessert hätte.
Wenn man mit Jugendlichen spricht, hört man kein lautes „Gegen die da oben“. Man hört ein „Ich versteh das nicht mehr“. Ein leises Abwenden. Der Eindruck, dass Politik ein Spiel ist, das nicht für sie gemacht wurde. Dass ihre Lebensrealität darin kaum vorkommt. Da steht dann ein 70-Jähriger, der das Kanzleramt übernehmen will, und spricht davon, dass er die Jugend mitnehmen will. Doch das Vertrauen fehlt – nicht aus Altersgründen, sondern weil das „Mitnehmen“ zu oft nur ein Versprechen blieb. Was man spürt: Junge Menschen fühlen sich nicht abgeholt, sondern überholt.
Dazu kommt ein Schulbetrieb, der das Politische bestenfalls streift. Lehrpläne werden abgespult, doch echte Diskussionen finden kaum statt. Politikunterricht wird zur Pflichtveranstaltung – selten zur Einladung zum Denken. Wer Fragen stellt, bekommt Formeln. Wer Zweifel hat, gilt schnell als schwierig. Dabei bräuchte es gerade jetzt Räume für Unsicherheit, für offene Fragen, für Diskussionen ohne Notendruck.
Und auch die Medien machen es nicht leichter. Die Schlagzeilen sind voll – aber nicht voller Orientierung. Migration, Kriminalität, soziale Abstiege, Klimakatastrophe. Es gibt kaum Pausen in diesem Strom der Zumutungen. Wer jung ist, sieht eine Welt, die aus den Fugen geraten ist – und eine Politik, die scheinbar mit alten Rezepten gegen neue Krisen kämpft. Dass dabei ein Gefühl der Überforderung entsteht, ist kein Wunder. Dass man sich abwendet, vielleicht sogar Schutz sucht im Ignorieren, auch nicht.
In Bürgergeld-Familien, in prekären Verhältnissen, wo oft das Nötigste fehlt, ist Politik ohnehin ein ferner Begriff. Sie kommt selten an – und wenn, dann in Form von Kürzungen, Kontrollen, Auflagen. Es ist schwer, Vertrauen zu entwickeln, wenn man Politik nur als Verwaltung von Mangel erlebt. Jugendliche aus diesen Verhältnissen wissen sehr genau, wie sich Ausgrenzung anfühlt. Ihre Fragen nach Teilhabe sind oft leiser – aber nicht weniger drängend.
Gleichzeitig erleben wir, wie viele junge Menschen politisch handeln – außerhalb der klassischen Kanäle. Sie organisieren Klimaproteste, sprechen über mentale Gesundheit, fordern Geschlechtergerechtigkeit oder fairen Zugang zu Bildung. Doch die Reaktion darauf ist oft herablassend. Man hört dann: „Ihr müsst erst mal arbeiten gehen“, oder: „Früher war das auch nicht besser“. Doch das hilft niemandem. Es verletzt. Und es verstärkt das Gefühl, dass junge Stimmen nicht zählen.
Die Politik hat viele Möglichkeiten, zuzuhören. Aber sie muss es auch wollen. Nicht nur, wenn Kameras laufen. Nicht nur, wenn ein „Jugendgipfel“ auf dem Plan steht. Sondern kontinuierlich. In Schulen. In der digitalen Welt. Im Alltag. Mit echter Sprache, ohne PR-Floskeln. Mit der Bereitschaft, nicht immer schon zu wissen, was richtig ist – sondern zu fragen. Nicht belehrend, sondern offen.
Wer heute politisch kommunizieren will, muss neue Wege gehen. TikTok und Instagram sind keine Bedrohung, sondern Möglichkeiten. Jugendliche sind nicht politikverdrossen. Sie sind systemmüde. Sie wollen beteiligt werden – nicht bespielt. Es geht nicht darum, sie zu umwerben. Es geht darum, ihnen zuzuhören. Ernsthaft. Wieder und wieder.
Was also tun? Vielleicht wäre ein erster Schritt, das Wort „Zukunft“ nicht länger wie eine Worthülse zu verwenden. Nicht mehr so zu tun, als ginge es um „die Jugend von morgen“, wenn es um Entscheidungen geht, die sie heute schon betreffen. Es braucht keine Inszenierung, keine großen Worte. Es braucht das Eingeständnis: Ja, wir haben euch zu oft überhört. Ja, wir haben Fehler gemacht. Und: Wir wollen es besser machen.
Denn wer glaubt, die Jugend sei unpolitisch, hat nicht verstanden, worin ihre Politik liegt. Sie liegt im Rückzug, im Boykott, im ironischen Mem, im Nichtwählen, im absichtlichen Schweigen. All das sind Ausdrucksformen – einer Generation, die längst verstanden hat, dass man manchmal lauter ist, wenn man nichts sagt.
Und so ist es an der Zeit, den Ton zurückzuholen. Nicht, indem man lauter wird. Sondern ehrlicher. Konkreter. Nahbarer. Vielleicht wäre es ein Anfang, weniger über die Jugend zu sprechen – und mehr mit ihr.