Home Gesellschaft Amen und Algorithmus – Wie der Glaube ins Digitale taumelt

Amen und Algorithmus – Wie der Glaube ins Digitale taumelt

by Thomas Wendtland
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„Glaubenssignal mit vollem Empfang?“ Ein Router im Kirchengewand – warum nicht auf jeder Turmspitze ein WLAN-Sender? Verbindung schafft Gemeinschaft. Auch digital.

Die Stimme des Theologen ist ein sensibles Instrument. Sie darf nicht zu glatt klingen, nicht zu salbungsvoll, und erst recht nicht geölt – sonst fragt sich der Kirchenvorstand, ob am Vorabend zu tief ins Messweinregal gegriffen wurde. Dabei könnte die Stimme so viel erzählen. Von Schuld und Hoffnung. Von Einsamkeit und Licht. Von all den großen Dingen, die keinen Platz finden in einem 15-Sekunden-Reel auf TikTok.

Doch genau dort, in diesen blinkenden Fragmenten einer auf Konsum getrimmten Welt, entscheidet sich heute die Aufmerksamkeit. Während Influencer sich mit glitzerndem Körperöl auf den Algorithmus werfen, steht der Pfarrer noch im Talar vor dem Altar und wartet auf die Glocken, die kaum noch jemand hört. Die Kirche – und mit ihr die Religionen dieser Welt – hat ein Problem. Nicht mit Gott, sondern mit dem Empfang. Der Draht nach oben mag noch stehen, aber die Verbindung nach außen rauscht.

Der heilige Ernst in der Welt der Filter

Dabei fehlt es nicht an Inhalten. Die religiösen Traditionen dieser Welt sind Schatztruhen voll erzählerischer Tiefe, emotionaler Intelligenz und spiritueller Intuition. Ob Christentum, Islam, Judentum, Buddhismus oder Hinduismus – überall finden sich Antworten auf Fragen, die heute dringlicher sind denn je. Was ist der Sinn in einer Welt, die alles quantifiziert? Wie lebt man mit Verlust, wenn man täglich neue Follower verliert? Was heilt in Zeiten, in denen jeder zweite Mensch eine Diagnose, aber keine Zuversicht hat?

Doch die Erzählweise hakt. Die Botschaft steht da – gewichtig, würdevoll, oft in gotischer Serifenschrift – aber niemand liest sie. Stattdessen scrollen die Menschen weiter. Zu Körpern, die sich räkeln. Zu Worten, die schreien. Zu Bildern, die verführen. Und die Religion? Die steht da, mit leicht verrutschtem Talar, und fragt sich, wie man das Evangelium in Emojis packt, ohne sich selbst zu verraten.

Es ist ein Dilemma, das nicht leicht aufzulösen ist. Denn Religion will nicht unterhalten – sie will verwandeln. Sie lebt vom Ernst, nicht vom Effekt. Aber wie bleibt man ernst, wenn der digitale Raum den Ernst längst in ein Meme verwandelt hat? Wenn Spiritualität zum Selfcare-Zitat auf einem rosafarbenen Instagram-Quadrat schrumpft?

Einige wenige wagen es. Junge Geistliche, muslimische Bloggerinnen, buddhistische Lehrer auf Spotify – sie sprechen von innen heraus, aber mit einem Gespür für das Außen. Nicht laut, nicht billig, sondern ehrlich. Sie zeigen, dass es geht. Dass man über das Fasten im Ramadan sprechen kann, ohne dabei zu predigen. Dass man den Sinn des Schabbat erklären kann, ohne ihn zu entweihen. Dass ein Gebet auch digital berühren kann – wenn es echt ist.

Und doch bleibt es Ausnahme, nicht Regel. Die Institutionen selbst scheinen oft zu schwerfällig für den digitalen Tanz. Ihre Webseiten wirken wie aus einer Zeit, in der man noch dial-up hörte. Ihre Inhalte sind aufwendig formuliert, aber nicht auffindbar. Ihre Stimmen zu leise für das Getöse des Netzes. Dabei ist gerade jetzt die Zeit, in der Menschen mehr denn je nach Sinn suchen – und weniger denn je die Kirchenbank dafür aufsuchen.

Vielleicht ist das der Punkt, an dem ein Umdenken beginnt. Glaube darf nicht zum Marketinginstrument verkommen. Aber er darf sich auch nicht vor der Zeit verstecken. Es braucht keine YouTube-Gottesdienste mit Applausanimation. Es braucht keinen betenden Avatar in der Metaverse-Kapelle. Aber es braucht eine digitale Präsenz, die nicht anbiedert – sondern andockt. An das, was Menschen wirklich bewegt. An die Fragen, die sie nachts wachhalten. An das Bedürfnis nach Verstehen, nach Geborgenheit, nach einem Raum, in dem nicht alles bewertet wird, sondern manches einfach stehen darf.

Ein paar zaghafte Initiativen gibt es längst. Projekte wie dasglaubichgern.de versuchen, neue Zugänge zu schaffen – mit freundlicher Sprache, modernen Formaten, auf Augenhöhe. Sie zeigen, dass sich Kirche auch anders anfühlen kann: weniger dogmatisch, mehr dialogisch. Und doch bleiben sie oft unter dem Radar, finden nicht den Widerhall, den sie verdienen würden. Warum? Weil das Grundprinzip von Social Media – das Spiel mit Nähe, mit Echtheit, mit Relevanz im Moment – in vielen religiösen Kontexten schlicht nicht verstanden wird. Es wird gesendet, nicht gespürt. Reagiert, aber nicht wirklich kommuniziert. Und so versickert auch Gutes im Rauschen.

Und Gott sah, dass der Algorithmus gut war?

Doch während sich der digitale Kosmos längst mit einer Leichtigkeit entfaltet, die keine Prüfungsordnung kennt, halten viele Religionen an der Vorstellung fest, dass nur die Geweihten sprechen dürfen. Als läge die Wahrheit allein im Weihegrad. Dabei braucht es heute kein Theologiestudium mehr, um spirituelle Fragen auf TikTok zum Glühen zu bringen. Es braucht keine griechische Exegese, um über Vergebung zu reden. Und schon gar keine Kanzel, um gehört zu werden. Die Bühne hat sich verschoben – und mit ihr das Publikum. Wer dort sprechen will, muss nicht ordinieren, sondern verstehen. Nicht herabreden, sondern andocken. Nicht dozieren, sondern teilen.

Das Netz ist voll junger Menschen mit einem intuitiven Gespür für Sprache, Form und Zeitgeist. Menschen, die keine Priester sind, aber Vermittler. Keine Imame, aber Brückenbauer. Keine Mönche, aber still genug, um gehört zu werden. Warum nutzt die Religion nicht diese Talente? Warum überlässt sie das Feld denen, die Spiritualität auf Sternzeichen und Selfcare reduzieren?

Stattdessen bleibt sie oft gefangen im eigenen Hochmut. Sie sieht sich – über alle Konfessionen hinweg – als Hüterin der letzten Wahrheit, als Spitze des Berges, von dem man herabruft. Doch wer immer ruft, hört irgendwann nicht mehr, dass unten niemand mehr steht.

Selbst der Einsatz moderner Technik, selbst KI – ja, selbst diese – könnte helfen, Brücken zu bauen. Eine klug trainierte KI könnte Fragen der Gläubigen beantworten, Impulse geben, Dialoge anstoßen. Nicht als Ersatz für das Geistliche, sondern als Einladung zum Gespräch. Doch noch immer gilt Technik in manchen Glaubenssystemen als Verdacht, nicht als Werkzeug. Als Bedrohung, nicht als Möglichkeit.

Die Arroganz des Geweihten ist das eigentliche Hindernis der Kommunikation.

Die Arroganz des Geweihten ist das eigentliche Hindernis der Kommunikation. Und wenn die Religionen nicht lernen, das Podest zu verlassen und in den digitalen Marktplatz hinabzusteigen, dann wird ihre Botschaft klingen wie das Echo einer Messe, bei der niemand mehr mitsingt. Ein paar Rockkonzerte auf dem Kirchentag retten da nichts mehr. Der Glaube braucht keine Verstärker – er braucht Menschen, die ihn wieder singen.

Vom Wort zur Resonanz

Die Lösung liegt nicht im Kopieren, sondern im Übersetzen. Nicht in einer digitalen Liturgie, sondern in einem Geist, der überträgt. Der erkennt: Es gibt heilige Räume, auch im Netz. Kommentare können Beichten sein. Ein Podcast kann eine Predigt sein. Ein ehrlicher Post kann mehr Trost spenden als hundert Andachten. Wenn er getragen ist von Wahrheit.

Und vielleicht ist es gerade der Mut zum Fragment, der zählt. Die 30 Sekunden, in denen ein junger Theologe sagt: „Ich zweifle auch, aber ich glaube trotzdem.“ Die Minute, in der eine muslimische Gelehrte erklärt, warum Barmherzigkeit wichtiger ist als jedes Verbot. Der Augenblick, in dem ein Rabbi den Talmud schmunzelnd als Lebensratgeber für postmoderne Menschen entstaubt.

Was es braucht, ist eine digitale Seelsorge, die nicht missioniert, sondern mitgeht. Die nicht erklärt, sondern fragt. Die nicht oben steht, sondern neben einem. Die sich nicht über das Medium erhebt – aber sich auch nicht von ihm fressen lässt. Eine Kirche, ein Islam, ein Glaube, der wieder Mensch wird. Auf Augenhöhe. Mit Bildschirm.

Denn am Ende ist es nicht die Lautstärke, die bleibt. Es ist die Resonanz. Die Stille nach dem Satz. Das Gefühl, gehört worden zu sein – selbst wenn man nicht antwortet. Religion kann das. Sie hat es immer gekonnt. Nur eben nicht mehr analog allein.

Gott braucht kein WLAN. Aber seine Gemeinde hat eines. Zeit, es zu nutzen.

Ein kurzer Gedanke zum Mitnehmen

Gott braucht kein WLAN. Aber seine Gemeinde hat eines. Zeit, es zu nutzen.
Und mal ehrlich: Wenn McDonald’s es schafft, jedem Besucher eine eigene WLAN-Startseite zu präsentieren, auf der man sich freundlich „Willkommen“ klickt – warum nicht auch die Kirche? Warum sendet nicht jede Turmspitze freies WLAN über Freifunk oder Gemeindefunk? Warum erscheint beim Login nicht ein Psalm, ein Gedanke zum Tag, ein Hinweis, was die Gemeinde heute tut – nicht um zu missionieren, sondern um da zu sein?

Was hindert die Kirche eigentlich daran, digitale Gastfreundschaft zu leben – und Kommunikation zu ermöglichen, die mehr ist als stille Fürbitte?

WLAN wäre kein Sakrament, aber ein Signal. Eines, das sagt: Wir sind hier. Wir denken mit. Wir teilen, was uns trägt.

Die Kirche könnte das. Sie müsste es nur wollen. Es braucht keinen Etat, keine App – nur den Willen, Menschen zu verbinden. Vielleicht gibt es irgendwo einen modernen Theologen, der genau das erkennt. Und nicht nur das Wort predigt, sondern auch das Netz versteht. Denn niemand sollte heute ohne Verbindung bleiben – weder spirituell noch digital.

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