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Beliebt sein – digital simuliert

von Thomas Wendtland
Mädchen sitzt allein am Straßenrand und blickt nachdenklich auf den Asphalt.

Warum sich manche Menschen im Netz feiern müssen, um nicht zu zerbrechen

Es soll Menschen geben, die sind beliebt, ohne sich darum zu bemühen. Die brauchen keine Filter, keine Tricks, keine Likes. Sie lächeln, und das Leben lächelt zurück. Sie wirken – in Cafés, auf Festen, in Gesprächen. Sie kommen an. Und dann gibt es jene, denen das nicht gegeben ist. Die übersehen werden, überhört. Die freundlich sind, oft sogar klüger, tiefsinniger, empathischer – aber eben nicht „sichtbar“.

Sie leiden darunter. Nicht jeden Tag. Aber oft genug, um es mit sich herumzutragen. Und unsere digitale Welt – die Welt der großen Versprechen – bietet ihnen eine Tür. Sie ist nicht unbedingt schön, nicht unbedingt ehrlich, aber sie steht offen. Und sie sagt: „Du kannst jemand sein.“

In der digitalen Welt gibt es Lösungen, auf die der wirklich beliebte Mensch nie käme. Lösungen, die in ihrer Künstlichkeit so effektiv sind, dass sie erschrecken. Mit wenigen Klicks lassen sich E-Mail-Adressen anlegen, Facebook-Accounts erstellen, Instagram-Profile generieren. Daraus werden kleine Armeen. Digitale Schattenwesen, die sich gegenseitig applaudieren. Die kommentieren, liken, teilen. Und die ein Profil aufblasen, bis es wirkt, als sei da wirklich jemand. Jemand Besonderes. Jemand Relevantes.

Einige Menschen kommen dabei auf Hunderte solcher Konten. Sie simulieren Zuneigung. Sie stellen Fragen, die sie selbst beantworten. Sie erschaffen sich ein Publikum, das es nicht gibt – außer in ihrer eigenen Matrix.

Sie sitzen am Handy, am Laptop, am PC. Stundenlang. Im Bademantel, mit kaltem Kaffee. Und fühlen sich toll. Geil. Geliebt. Der kleine Bildschirm wird zur Bühne, das WLAN zur Welt. Und wenn der Like-Button rot leuchtet, flackert das Ego. Für einen Moment scheint die Realität zu stimmen.

Doch diese Realität ist erlogen. Und sie reicht nie. Denn je mehr man sich selbst beklatscht, desto stiller wird es innen. Die Simulation ersetzt das Gefühl – nicht die Sehnsucht.

Man kann Likes kaufen. Kommentare fälschen. Engagement simulieren. Aber die eigentliche Frage bleibt: Warum ist das überhaupt notwendig?

Warum braucht ein Mensch so viele Spiegel, um sich selbst zu erkennen? Warum zählt ein bearbeitetes Bild mehr als ein ehrlicher Satz? Warum reicht es nicht, einfach zu sein – statt dauernd gesehen werden zu müssen?

Weil wir in einer Glitzergesellschaft leben. Alles muss leuchten. Alles muss besonders sein. Wer nicht performt, fällt raus. Wer nicht glänzt, wird überblendet. Authentizität ist erlaubt – solange sie gut aussieht. Und wer scheitert, soll wenigstens spannend scheitern. Mit Story-Highlight. Und Musikuntermalung.

In dieser Gesellschaft ist Beliebtheit zur Währung geworden. Eine soziale Kryptowährung, deren Kurs durch Algorithmen bestimmt wird. Wer davon zu wenig hat, gerät unter Druck. Und wer unter Druck steht, greift zu Maßnahmen, die früher als pathologisch galten, heute aber fast schon systemisch sind.

So entsteht ein stilles Drama. Ein innerer Konflikt zwischen dem echten Selbst und dem inszenierten Ich. Die Likes sind das Morphium. Und das System applaudiert – solange man funktioniert.

Doch was bleibt?

Am Ende des Tages bleibt oft nur Stille. Kein echter Mensch, kein echtes Gespräch. Nur ein leuchtendes Display, das behauptet, jemand habe dich gern. Und das ist vielleicht die größte Tragik: Dass der Mensch in der digitalen Welt so sehr nach Sichtbarkeit hungert, dass er sich selbst verdoppeln muss, um nicht zu verschwinden.

Vielleicht ist das größte Missverständnis der Gegenwart der Glaube, dass Beliebtheit Glück bedeutet. Dass digitale Bestätigung Nähe ersetzt. Dass man sichtbar sein muss, um zu existieren.

Aber Beliebtheit ist kein Beweis für Wert. Sie ist oft nur ein Echo. Und wer sich nur über das Echo definiert, hat vielleicht vergessen, wie die eigene Stimme klingt.

Infokasten
Soziale Netzwerke und psychische Gesundheit
Studien zeigen: Wer Social Media exzessiv nutzt – besonders mit dem Fokus auf Likes und Rückmeldungen – riskiert ein geschwächtes Selbstwertgefühl. Häufig treten depressive Symptome auf, vor allem bei Menschen mit geringem Selbstvertrauen oder sozialer Isolation. Plattformen wie Instagram oder TikTok fördern durch inszenierte Idealbilder einen Druck zur Selbstdarstellung – oft zulasten von Echtheit und innerem Gleichgewicht.

Quellen-Nachweis
– American Psychological Association (APA): Social Media and Mental Health, 2023
– Statista: Anzahl gefälschter Social-Media-Profile weltweit, 2024
– Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Digitale Gesellschaft – Zwischen Selbstinszenierung und Voyeurismus, Dossier 2022
– Süddeutsche Zeitung: Warum sich Menschen Fake-Likes kaufen, 2021
– Deutschlandfunk Kultur: „Soziale Medien machen nicht sozialer“ – Interview mit Soziologin Paula-Irene Villa, 2023
– Beobachtungen und Erfahrungen aus Community-Diskussionen, journalistischen Feldnotizen sowie dem digitalen Alltag

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