Bezahlen reicht nicht – wenn die Schufa zum digitalen Pranger wird. Die Schufa hat Macht über Menschen und beherrscht die Kunst des ewigen Misstrauens.
Immer wieder steht die Schufa als Institution in der Kritik – nicht weil sie Kreditwürdigkeit bewertet, sondern weil sie den Makel der Bürger verwaltet. Ein neues Urteil lässt nun aufhorchen: Das Oberlandesgericht Köln hat entschieden, dass erledigte Forderungen nicht mehr über Jahre gespeichert bleiben dürfen, sondern nach Begleichung unverzüglich gelöscht werden müssen. Eine Entscheidung, die nicht nur juristisch bemerkenswert ist, sondern das Fundament eines Systems ins Wanken bringt, das von der Langzeitwirkung menschlicher Fehler lebt.
Der Makel als Geschäftsmodell
Wer einmal aus der Reihe tanzt, bleibt markiert – jedenfalls dann, wenn es nach der Schufa geht. Diese hat über viele Jahre hinweg ein System kultiviert, das sich weniger der Fairness als vielmehr der Verwertung menschlicher Fehltritte verpflichtet fühlt. Ein beglichener Zahlungsrückstand, ganz gleich ob aus Nachlässigkeit, Unwissen oder wirklicher Zahlungsunfähigkeit entstanden, blieb auch nach Ausgleich der Forderung bis zu drei Jahre lang gespeichert. Und das nicht etwa aus juristischen Notwendigkeiten, sondern aus Geschäftsinteresse.
Das Oberlandesgericht Köln hat nun entschieden, dass diese Praxis so nicht haltbar ist. Wer seine Schulden nachweislich begleicht, darf nicht weiter digital geächtet werden. Solche Einträge müssen, so das Urteil, unverzüglich gelöscht werden. Dass es für eine derart offensichtliche Gerechtigkeitsfrage ein Gerichtsurteil braucht, ist bezeichnend für die Schieflage. Ein Mensch, der seine Verbindlichkeiten ausgeglichen hat, musste sich bisher fühlen wie ein Angeklagter auf Bewährung – frei, aber nie ganz entlassen. In einem System, das lieber festhält als vergibt.
Eine Institution im Dienst des systemischen Misstrauens
Die Schufa ist längst kein rein technischer Dienstleister mehr. Sie hat sich zur inoffiziellen Kontrollinstanz entwickelt, die den sozialen Zugang zu Mobilität, Wohnen und Kreditwürdigkeit mitbestimmt – ohne demokratische Legitimation, ohne Transparenz, aber mit großem Einfluss. Ihre Score-Werte gelten als Maßstab für Vertrauen, obwohl sie auf Algorithmen beruhen, die niemand nachvollziehen kann. Sie vergibt kein Urteil, sie trifft es – automatisiert, endgültig, konsequenzenreich.
Und während der Einzelne seine wirtschaftliche Existenz auf wenige Kennziffern reduziert sieht, gibt es kaum eine Möglichkeit, sich zu erklären oder zu rehabilitieren. Wer sich wehren will, steht einem Gebilde gegenüber, das sich hinter AGBs, Datenschutzfloskeln und automatisierten Antwortschleifen verschanzt. Die Schufa ist in diesem Spiel kein neutraler Beobachter, sondern eine Machtinstanz, die durch das permanente Weiterverwerten von Fehlern ein Klima des Misstrauens etabliert hat – ein System, das sich nicht an der Lebensrealität orientiert, sondern an der Verwertbarkeit von Lebensläufen.
Vom ehrbaren Kaufmann zum digitalen Abkassierer
Dass die Schufa nicht alleine agiert, macht die Lage nicht besser. Vielmehr hat sich ein ganzes Netzwerk aus Inkassounternehmen, Wirtschaftsauskunfteien und Datendienstleistern etabliert, das sich mit dem Habitus hanseatischer Seriosität tarnt und doch in weiten Teilen nichts anderes betreibt als strukturelle Denunziation. Namen wie Creditreform, Bürgel oder Arvato – ein Unternehmen aus dem Hause Bertelsmann – wirken vertrauenerweckend, stehen jedoch sinnbildlich für eine Branche, die längst keine Informationen mehr liefert, sondern Verwertungslogiken bedient.
Selbst vermeintlich untadelige Unternehmerfiguren wie Michael Otto sind Teil dieser Maschinerie – mit allen Etiketten des hanseatischen Anstands, aber eingebunden in ein Geschäftsmodell, das vom Weiterverkauf menschlicher Krisen lebt. Die Inkassopraktiken von EOS, einer Konzerntochter der Otto-Gruppe, stehen seit Jahren in der Kritik. Immer wieder berichten Betroffene von undurchsichtigen Forderungen, überhöhten Gebühren und einem Vorgehen, das nicht auf Einigung, sondern auf Eskalation abzielt – mit dem klaren Ziel, aus ohnehin schwierigen Lagen noch mehr Kapital zu schlagen. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist das Vertrauen in eine Wirtschaft, die sich selbst gern als fair und sozial bezeichnet, aber allzu oft bereit ist, diesen Anspruch gegen bare Münze einzutauschen.
Hier geht es längst nicht mehr um wirtschaftliche Absicherung, sondern um die möglichst langfristige Nutzbarmachung persönlicher Fehltritte. Ein Zahlendreher in der Jugend, eine übersehene Mahnung, ein gescheiterter Versuch der Selbstständigkeit – all das kann über Jahre hinweg nachhallen, nicht weil es wirtschaftlich notwendig wäre, sondern weil sich damit Geld verdienen lässt. In einem System, das keine Erlösung vorsieht, sondern nur dauerhafte Verwertbarkeit, ist der Mensch nicht Kunde, sondern Ware.
Die Politik schaut zu – und liefert
Besonders bitter ist dabei die Rolle der Politik. Während sich Minister in Talkshows für soziale Gerechtigkeit stark machen, wird hinter den Kulissen ein System geduldet, ja teilweise gestützt, das genau diese Gerechtigkeit verhindert. Die Auskunfteien haben über Jahre hinweg eine beeindruckende Lobbyarbeit betrieben – leise, effizient, kaum wahrnehmbar – und sich so einflussreiche Fürsprecher gesichert. Der Mythos von der verlässlichen Wirtschaftsauskunft, die Vertrauen schafft und Risiken minimiert, hat sich tief in die Köpfe der Entscheidungsträger gefressen. Die Wahrheit aber ist: Diese Unternehmen schaffen vor allem sich selbst eine Grundlage – auf Kosten derer, die ohnehin schon wenig Spielraum haben.
Das Urteil des OLG Köln ist deshalb zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber kein Durchbruch. Es ist bislang nicht rechtskräftig – und sollte innerhalb der vorgesehenen Frist kein Einspruch eingelegt werden, würde es erst dann bindend. Man muss jedoch davon ausgehen, dass die Schufa alles daran setzen wird, genau das zu verhindern. Denn mit jeder gelöschten Information verliert sie ein Stück ihrer Marktmacht. Wer die Vergangenheit verschwinden lässt, entzieht ihr den Boden. Und so wird man sich dort mit aller Kraft dagegen wehren, dass Menschen aus den Akten verschwinden, bevor sie wirtschaftlich vollständig ausgeschlachtet wurden.
Ein Jahr ist genug – für Schuld, für Neuanfang, für Gerechtigkeit
Was dieses Land braucht, ist keine kosmetische Korrektur, sondern eine tiefgreifende Neuausrichtung im Umgang mit finanziellen Fehlstarts. Es braucht ein einjähriges, einfaches Insolvenzverfahren, das nicht unterscheidet zwischen Angestellten und Selbstständigen, zwischen Überforderten und Gescheiterten – sondern schlicht anerkennt, dass Fehler Teil des Lebens sind und Neuanfänge möglich bleiben müssen. Dieses Verfahren darf nicht in den Händen der Schufa und ihrer Ableger liegen. Es muss unabhängig sein, neutral, frei von wirtschaftlichen Interessen.
Und es braucht politischen Mut – nicht nur zum Reformieren, sondern zum Abrüsten. Die kommende Regierung hätte mit einem solchen Schritt die Chance, ein deutliches Signal zu setzen: Dass die Würde des Menschen auch dann gilt, wenn die Kontoauszüge einmal nicht gereicht haben. Dass Vertrauen nicht aus dem Score kommt, sondern aus dem Willen, weiterzumachen. Und dass Schuld nicht ewig halten darf, wenn man sie längst bezahlt hat.