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Bitte warten, Ihre Suppe wird geladen…

by Thomas Wendtland
Aufgeräumte Küche mit frischen Zutaten, Schneidebrett und Laptop – Symbolbild für modernes Kochen.

Wie ein Küchengerät zum Spiegel einer Gesellschaft wurde, die alles will – nur nicht mehr rühren, Der Thermomix TM7 zwischen Küchentrance, Kontrollwahn und Konsumkult

Kaum angekündigt, schon entfacht er Erwartungen wie ein neues iPhone oder der nächste Sommerschlager aus Skandinavien: Der Thermomix TM7, neueste Inkarnation eines Küchengeräts, das längst mehr ist als ein praktischer Helfer. Vorwerk, der Wuppertaler Direktvertriebsgigant mit Föhnfrisur-Image und Präzisionsanspruch, hat es wieder geschafft, eine Art Vorfreuden-Ökonomie zu erzeugen – mit professionellem Feingefühl, emotional aufgeladenem Marketing und einem Vertriebsmodell, das mehr Ritual als Werbung ist. Der neue Thermomix ist derzeit nicht einfach käuflich – er ist ersehnt. Für Vorbesteller heißt es: 18 Wochen Lieferzeit, für alle anderen bis zu 23 Wochen. Wer im Februar bestellt hat, darf im Hochsommer hoffen. Und das ist kein Versorgungsengpass – das ist Nachfrage.

Was treibt die Menschen dazu, auf eine Küchenmaschine zu warten wie auf einen Oldtimer? Was verspricht ihnen dieses Gerät, das sie nicht ohnehin schon in ihren Schränken hätten? Und vor allem: Wie passt diese Lust am Konsum in eine Gesellschaft, die sich gleichzeitig gerne arm rechnet? Der Thermomix verkauft sich wie geschnitten Brot, während gleichzeitig Suppenküchen gefüllt sind und Armutsberichte über Bildschirme flimmern. Vielleicht stimmt beides. Vielleicht zeigt es aber auch, wie relativ Armut ist – oder wie selektiv unser Blick darauf. Und vielleicht ist es genau dieser Widerspruch, den populistische Parteien und Vereinigungen gern nutzen, um uns einzureden, wir lebten im „schlechtesten Deutschland aller Zeiten“ – während zugleich technologische Innovation, Konsumbereitschaft und gesellschaftliche Anpassungsfähigkeit in der Realität längst weiter sind, als viele wahrhaben wollen.

Tatsache ist: Der Thermomix wird gekauft. Nicht trotz des Preises, sondern scheinbar gerade wegen seines Status. Er steht in vielen Küchen nicht nur für Effizienz, sondern auch für Teilhabe an etwas Höherwertigem – einer digitalen Komfortwelt, die verspricht, das Leben besser, planbarer, kontrollierbarer zu machen. In einer Zeit, in der Unsicherheit zunimmt und vieles teurer wird, suchen viele offenbar genau das: ein Stück Verlässlichkeit im Edelstahlgehäuse. Der hohe Preis wird nicht mehr als Hindernis gesehen, sondern als Eintrittskarte in eine neue Form des Alltagsmanagements – in ein Leben, das durch Technik einfacher wirkt, auch wenn dies nicht unbedingt der Fall sein wird.

Manchmal wirkt der Thermomix wie direkt aus einem Science-Fiction-Film gefallen. Fast wie die Szene aus Das fünfte Element, in der Leeloo eine kleine Kapsel in eine futuristische Küchenbox legt – und Sekunden später ein dampfendes Brathähnchen auf dem Tisch steht. Beim TM7 sind es keine Kapseln, sondern Zutaten; keine Zeitreise, sondern 23 Wochen Lieferzeit. Aber das Prinzip ist verwandt: Reduktion auf das Ergebnis. Alles andere – Geruch, Gefühl, Prozess – bleibt außen vor. Wer schon einmal eine selbstgezauberte Bolognese à la Luigi im Topf erschaffen hat ( schaut mal hier…LUIGI ), der weiß, was es heißt, mit allen Sinnen zu genießen. Genau dieser Genuss wird in der Thermomix-Welt gnadenlos unterdrückt.

Für die Befürworter ist der TM7 das Nonplusultra modernen Kochens. Er wiegt, erhitzt, rührt, dampfgart, püriert, knetet, koordiniert. Wer einen hat, schwärmt von Zeitersparnis, Planbarkeit und der Tatsache, dass sogar der pubertierende Sohn jetzt die Kürbissuppe „selbst macht“. Es ist diese neue Form der Autonomie, die viele begeistert: Ich koche – aber ich muss nicht mehr denken, wie. Die Rezepte kommen über WLAN, die Temperatur ist vorgewählt, das Ergebnis oft besser als gedacht. Besonders junge Familien, Berufstätige oder Menschen mit wenig Küchenroutine fühlen sich entlastet, manchmal sogar befreit.

Und doch bleibt da ein schales Gefühl – spätestens wenn der Preis ins Spiel kommt. Rund 1.500 Euro kostet das neue Modell. Dafür bekommt man auch einen gebrauchten Kleinwagen, einen Wochenendtrip mit Kind und Kegel oder – Achtung, altmodisch – sehr viele gute Töpfe. Der Thermomix ist kein Küchengerät, er ist eine Investition. Wer ihn besitzt, hat sich entschieden: gegen Improvisation, gegen das Zufällige, gegen die offene Pfanne. Für Plan, für System, für Vorwerk.

Gegenstimmen kommen nicht nur aus der Low-Budget-Ecke. Auch passionierte Hobbyköche, Ernährungsberater und selbst manche Minimalisten äußern Kritik. Ihnen fehlt das Handwerk, der Geruch, die Entwicklung. Sie sagen: Was im Thermomix passiert, ist funktional – aber nicht sinnlich. Eine Bolognese, die in Edelstahl brodelt, ohne dass jemand rührt, brät, ablöscht – ist das noch Kochen oder bereits Datenverarbeitung mit Zwiebelaroma?

Auch die Benutzeroberfläche des TM7 ist nicht frei von Kritik. Das neue Display mag modern wirken – doch es bleibt vergleichsweise klein. Für Menschen mit eingeschränkter Sehkraft oder altersbedingt nachlassendem Sehvermögen wird selbst die angenehmste Rezeptidee zur Herausforderung, wenn die Schrift zu filigran und die Menüführung zu überladen erscheint. Hier trifft Hightech auf eine Wirklichkeit, die oft vergessen wird: Technik muss nicht nur funktionieren, sie muss auch zugänglich sein. Und genau da verliert der Thermomix etwas von seinem Anspruch, universell zu sein.

Dabei sind die Programme durchdacht, keine Frage. Sie führen schrittweise durch den Kochvorgang, lassen kaum Spielraum für Fehler und helfen insbesondere jenen, die sich sonst vor Töpfen und Timern drücken. Die Rezepte – zahlreich, systematisch, appetitlich bebildert – treffen den Mainstream: viel Pasta, viel Suppe, viele vertraute Lieblingsgerichte. Wer kulinarische Abenteuer sucht oder experimentelle Küche erwartet, wird eher auf Umwegen fündig. Aber wer kochen will wie das Land isst, wird hier bestens versorgt – in vordefinierter Wohlfühlzone.

Und dann ist da noch der nächste Schritt: Die digitale Einkaufsliste, die sich aus dem Rezept speist, wird auf Wunsch direkt an Online-Supermärkte übermittelt – REWE, Edeka, Amazon Fresh. Die Zutaten landen im Warenkorb, die Bestellung geht raus. Der Mensch wird zum Zuschauer seines eigenen Einkaufs. Das ist praktisch – und erschreckend. Der Gedanke, dass sich unser Kochen bald nur noch in einem Display-Ökosystem abspielt, von der Auswahl bis zur Verdauung, ist faszinierend und beklemmend zugleich. „Einkauf erleben“ lautet der Slogan vieler Supermärkte – doch hier wird weder erlebt noch ausgewählt, hier wird nicht einmal mehr geklickt. Es wird erledigt.

Hinzu kommt die Vertriebsmethodik, die manchen an sektenartige Strukturen erinnert. Verkaufsberaterinnen mit Missionseifer, Vorführpartys, digitale Rezeptplattformen mit Abo-Modell – der Thermomix ist längst mehr als Hardware. Er ist ein Ökosystem. Und dieses System lebt davon, dass aus Kund:innen Anhänger:innen werden. Wer dagegen argumentiert, wird schnell als rückständig belächelt oder belehrt. Dabei geht es nicht um Fortschrittsfeindlichkeit, sondern um eine simple Frage: Brauchen wir das – oder glauben wir es nur, weil es so schön glänzt?

Natürlich hat das Gerät auch seine Daseinsberechtigung. In Haushalten mit eingeschränkter Mobilität, bei Menschen mit Behinderungen oder schlicht dort, wo das Kochen bislang eine tägliche Hürde war, kann der TM7 echte Hilfe leisten. Auch das ist Teil der Wahrheit – und oft vergessen in der Debatte, die sich vor allem zwischen Latte-Macchiato-Müttern und Instagram-Kritikern abspielt.

Zwischen diesen Polen – Heilsversprechen und Totalverweigerung – liegt ein weites Feld der Nuancen. Einige nutzen den Thermomix als Zweitgerät. Andere lieben ihn für Suppen und Hefegebäck, schwören aber bei allem anderen auf ihre Gusseisenpfanne. Wieder andere lassen ihn für die Kinder kochen – damit diese überhaupt mal was anderes als Toast zubereiten. Und es gibt auch Stimmen, die den Apparat nach zwei Jahren wieder verkauft haben, weil sie merkten: Die Liebe ist eine Zweckgemeinschaft geblieben.

Übrigens bietet Vorwerk das sogenannte „Erlebniskochen“ an – eine Live-Vorführung des Thermomix, meist in wohnzimmerartigen Vorführräumen oder aufgeräumten Online-Welten, in denen Schnittlauch nie welk ist und der Brokkoli scheinbar in Rente geht, so vital wirkt er. Wer sich durch die Website klickt, sieht Bilder wie aus einem skandinavischen Designkatalog: strahlende Models, makellose Küchen, akkurat drapierte Karottenstreifen, als hätte jemand das Gemüse vorher mit der Wasserwaage ausgerichtet. Ganz ehrlich: Ich hätte nichts dagegen, wenn eines dieser Modelle – gerne auch das Gerät – bei mir zu Hause mal zum Probekochen vorbeikäme. Nur echt bitte. Mit Geräusch, Geruch und der dreckigen Pfanne danach. Wer weiß, was passiert. Vielleicht wird’s ja tatsächlich ein Erlebnis. Vielleicht sogar eines, das ohne WLAN funktioniert. Ich hatte übrigens vor Jahren schon mal eine Vorwerk-Begegnung – allerdings nicht in der Küche, sondern an der Haustür. Ein Vertreter klingelte und fragte, ob er mir den Kobold-Staubsauger vorführen dürfe. Ich sagte ja – und ließ ihn das ganze Haus saugen. Gelernt habe ich damals zweierlei: Der Kobold kann was. Und ich kann Nein sagen, ohne etwas zu kaufen. Ein echtes Erlebnis – sogar ganz ohne Menüvorschlag.

Vielleicht ist genau das der Punkt: Der Thermomix spiegelt nicht nur unser Verhältnis zum Kochen, sondern zu uns selbst. Wie sehr wollen wir Kontrolle? Wie viel Technik verträgt der Alltag, bevor er seelenlos wird? Und warum fällt es uns so schwer, ein Gerät einfach mal als Gerät zu betrachten – ohne gleich Haltung, Status und Lebensstil daran zu knüpfen?

Am Ende bleibt die Frage nicht, ob der Thermomix „gut“ ist. Sondern: Für wen, in welchem Leben, mit welcher Erwartung? Das ist die ehrlichste aller Küchenfragen. Und vielleicht die einzige, die er nicht selbst beantworten kann.

🛈 Transparenzhinweis
Dieser Beitrag ist ein meinungsbetonter Artikel. Er reflektiert persönliche Beobachtungen, Erfahrungen und gesellschaftliche Deutungen rund um den Thermomix TM7. Die Aussagen beruhen auf öffentlicher Recherche, Nutzerfeedback und journalistischer Einordnung. Eine Produktbewertung im klassischen Sinne oder eine technische Prüfung fand nicht statt. Ziel ist eine kritische, zugleich respektvolle Auseinandersetzung mit einem aktuellen Konsum- und Kulturphänomen.

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