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Das Immunsystem – Was war das noch gleich?

by Thomas Wendtland
Kind liegt im Bett, trägt ein Halstuch und Schal, hält eine Tasse Tee in der Hand, Symbol für Krankheit und Fürsorge.

Wenn wir über das Immunsystem nachdenken, geschieht das selten aus heiterem Himmel. Meist führt uns der Anlass dorthin: ein Schnupfen im Winter, eine Allergie im Sommer oder eine Nachricht, die uns den Boden unter den Füßen wegzieht – Krebs.

Dann erst rückt jenes unsichtbare Geflecht aus Zellen, Botenstoffen und Erinnerungen in unser Bewusstsein, das sonst still und unsichtbar für uns arbeitet. Wir fragen uns, was da eigentlich in uns kämpft, schützt und heilt – und warum es manchmal versagt. Vielleicht wäre es an der Zeit, nicht nur im Moment der Krankheit an unsere stille Leibgarde zu denken, sondern sie als das zu begreifen, was sie ist: unser lebenslanger, unermüdlicher Verbündeter in einer Welt voller Herausforderungen.

Man möge sich das Immunsystem nicht als eine sterile Maschine vorstellen, sondern als ein atmendes, vibrierendes Netzwerk, das uns in jedem Augenblick unseres Lebens beschützt. Es ist eine stille Gesellschaft aus Wächterzellen, Botenstoffen und Erinnerungen, die sich unermüdlich bemüht, Eindringlinge wie Viren, Bakterien, Pilze oder entartete körpereigene Zellen aufzuspüren und abzuwehren – meist, ohne dass wir es bemerken. Die Immunabwehr ist ein Meister der Präzision: blitzschnell, gnadenlos, dabei doch sorgfältig darum bemüht, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.

An jedem Ort unseres Körpers patrouillieren ihre Vertreter, darunter die Lymphozyten – tapfere Krieger unter den weißen Blutkörperchen, zu denen B-Zellen, T-Zellen und natürliche Killerzellen gehören. Etwa eine Billion dieser Zellen tragen wir stets in uns; täglich verabschiedet sich eine Milliarde von ihnen leise aus dem Dienst. Frischer Nachschub kommt aus dem Knochenmark, jener verborgenen Produktionsstätte, die vor allem in den großen Knochen aktiv ist – in Hüfte, Brustbein und besonders auch in den Schulterblättern, wo das Leben in Form neuer Stammzellen immer wieder von Neuem beginnt.

Es ist ein Energiekrieg, den unser Körper da führt. Ein Kampf, der ungeheure Reserven frisst, besonders dann, wenn ein echter Infekt zu Boden ringt. Kein Wunder, dass wir uns nach Krankheit fühlen wie ein ausgebrannter Palast: leer, müde und auf Vorräte angewiesen, die erst langsam wiederkehren.

Doch wie trennt diese unsichtbare Armee das Eigene vom Fremden? Immunzellen sind Wachposten mit unterschiedlichem Blick: Einige tragen metaphorische Ferngläser, andere Lupen. Erstere, die Fresszellen und Killerzellen, erkennen das Bedrohliche am rauen Äußeren; Letztere, die B- und T-Zellen, brauchen das genaue Anlagern eines fremden Moleküls an ihre Rezeptoren, um Alarm zu schlagen. Sie haben gelernt, in den stillen Schulen der Lymphknoten und Thymusdrüsen, nicht auf die eigene Heimat einzuschlagen. Doch dieser Unterschied ist fragil. Geht das feine Sensorium verloren, beginnt eine Tragödie: die Autoimmunerkrankung, jener bitterböse Irrtum, bei dem die Körperabwehr sich selbst zur Geisel nimmt.

Erkennt ein Wächter Alarm, dann entfaltet sich ein ganzes Drama in mehreren Akten: Die Wächterzellen schlagen Alarm, molekulare Glocken läuten. Innerhalb von Minuten sind die schnellen Truppen – Killer- und Fresszellen – am Ort, entlassen Gifte, verschlingen Eindringlinge. Botenstoffe eilen durch den Körper, rufen Verstärkung herbei: T-Zellen, die töten, B-Zellen, die Antikörper weben.

Und wenn das System sich erinnert – weil eine frühere Infektion oder Impfung eine Gedächtnisspur hinterlassen hat –, reagiert es schneller, klüger, mächtiger. Diesen Umstand macht sich auch die moderne mRNA-Technologie zunutze: Sie liefert dem Körper eine Art molekularen Bauplan der Gefahr, ohne dass eine echte Infektion stattfinden muss – und lehrt so das Immunsystem, vorbereitet zu sein, bevor der Ernstfall überhaupt eintritt.

Währenddessen sorgen stille Regulatoren dafür, dass das Inferno nicht zur Selbstzerstörung führt. Sie beschwichtigen, dämpfen, führen die Armee heim. Nur so wird aus einer Immunabwehr eine Immunkultur: ausbalanciert, intelligent, sich selbst zügelnd.

Doch die größten Feinde kommen von innen. Schlafmangel, Dauerstress, Fehlernährung – all das sind Saboteure dieser filigranen Harmonie. Zum Dauerstress zählt jedoch weit mehr als nur Überstunden und Gedankenkreisen. Auch der tägliche Griff zum Feierabendbier, das abendliche Glas – oder die Flasche – Wein, ebenso wie chronischer Alkoholismus, gehören dazu: unterschätzte Angriffe auf die stille Architektur der Immunabwehr. In erster Linie aber ist es das Rauchen – ob klassisch oder als vermeintlich harmloses Vapen –, das die Reparaturmechanismen des Körpers systematisch untergräbt. Immer deutlicher zeigen wissenschaftliche Studien: Krankheiten wie Zungenkrebs treten bei Rauchern und Vapern deutlich häufiger auf.

Der Körper erhält in dieser Dauerbelastung nicht mehr genug Raum und Ruhe, um beschädigte Zellstrukturen zu reparieren und krankhafte Veränderungen rechtzeitig zu vertreiben. Das Immunsystem erkennt die entarteten Zellen zwar und will sie vernichten – doch täglich kommen neue, geschädigte Zellen hinzu. Es ist ein Wettlauf, bei dem der wichtigste Verbündete fehlt: die Zeit. Im Heilungssystem existiert sie unter Dauerstress praktisch nicht mehr.

Doch nicht nur Schlafmangel, Alkohol oder Nikotin fressen sich in die feinen Mechanismen der Immunbalance. Auch der maßlose Genuss, das tägliche Überangebot an Zucker, Fertigstoffen und stimulierenden Getränken, überfordert die stille Wächterkraft des Körpers. Selbst der Körperkult – das übermäßige, unreflektierte Pumpen im Fitnessstudio –, so sehr er sich als Gesundheit inszeniert, kann zum Bumerang werden. Wer den Organismus ständig in Alarmbereitschaft treibt, treibt ihn zugleich in stille Entzündungen und oxidativen Stress – beides fatale Brandherde, die die Immunabwehr schwächen.

Und schließlich nagt noch ein oft unterschätzter Feind: die Psyche. Ängste, Sorgen, andauernder emotionaler Druck – sie sind keine bloßen Schatten in Gedanken, sondern reale Angriffe auf den Körper. Stresshormone wie Cortisol fluten das System, dämpfen die Immunantwort, legen das Fundament für Erschöpfung, Infekte und schleichende Krankheiten. Die Psyche ist kein getrenntes Reich; sie ist Teil der körperlichen Abwehr – ein Teil, der, wenn er leidet, die stille Verteidigung unseres Lebens schwächt.

Doch was geschieht, wenn diese zarte Balance kippt, nicht ins Autoimmunfeuer, sondern in die Fehlwahrnehmung des Harmlosen? Eine Allergie ist im Grunde eine tragische Verwechslung: Sie gaukelt dem Immunsystem Bedrohungen vor, die es gar nicht gibt. Eine Histaminreaktion setzt ein – eine Lawine biochemischer Reflexe –, und plötzlich schießt die Körperabwehr weit über das Ziel hinaus. Ein Schnupfen, tränende Augen, Atemnot – alles ohne echten Feind.

Im Grunde wäre dieser Irrtum korrigierbar, regulierbar. Doch auch hier spielt der Wille eine Rolle. Wer sein Immunsystem konsequent unterstützt, kann manches umkehren: Denn Allergien stehen selten für sich allein. Oft hängen sie wie lose Enden an anderen Störungen im Körper – Darmprobleme, chronischer Stress, versteckte Entzündungen. So mancher Allergiker hat sein Leiden nicht durch Medikamente, sondern durch die Heilung dieser tieferen Abhängigkeiten in den Griff bekommen. Das Immunsystem vergisst nicht – aber es kann lernen, neu zu unterscheiden.

Lebewesen ohne Immunabwehr? Gibt es nicht. Selbst Bakterien erkennen Viren und verteidigen sich – und diese uralten Mechanismen haben wir zu mächtigen Werkzeugen gemacht, etwa mit der Genschere CRISPR-Cas, einem chirurgischen Eingriff in das Erbgut selbst.

Sogar Pflanzen kämpfen. Mit Sekreten, die Insektenpanzer aufweichen; mit chemischen Botenstoffen, die das gesamte Pflanzenwesen in Alarm versetzen. Ein stiller Krieg, der meist ungesehen bleibt.

Und doch: Das am besten erforschte, am tiefsten bewunderte Immunsystem ist das der Wirbeltiere. Unser eigenes. Es ist ein Wunderwerk der Evolution – und doch bleibt es, bei aller Wissenschaft, ein Teil von uns, den wir bis heute nicht völlig verstehen. Vielleicht, weil das, was uns schützt, immer auch ein wenig geheim bleiben muss.

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