Was reden wir da eigentlich?
Eine Artikelreihe über Klima, Wandel und Wirklichkeit
Wir reden – überall, ständig, gleichzeitig. Über das Klima, die Politik, die Kosten, die Freiheit. Wir streiten über Wärmepumpen, lachen über Tempolimits, sorgen uns um die Rechnung und verlieren dabei oft den Überblick. Aus Meinungen werden Identitäten, aus Unsicherheit wird Widerspruch. Und in all dem Stimmengewirr geht manchmal das verloren, was wirklich zählt: die Zusammenhänge, die Ursachen, die Folgen.
Yivee möchte mit dieser Artikelreihe einen Beitrag leisten zur Versachlichung – ohne zu belehren. Wir greifen aktuelle Themen aus der Klimadebatte auf, ordnen sie ein, erklären Hintergründe und fragen nach: Was ist Wetter – und was ist Klima? Was hilft – und was lenkt nur ab? Und wie können wir Veränderung denken, ohne uns selbst zu verlieren?
Fünf Artikel – eine Reihe für alle, die mehr verstehen wollen. Nicht weil es Trend ist, sondern weil es Zeit ist.
Das Wetter macht, was es will – das Klima nicht
Warum der Unterschied entscheidend ist und wie Missverständnisse entstehen
Viele Diskussionen über den Klimawandel enden früher, als sie beginnen. Meist mit dem Satz: „Früher gab’s auch heiße Sommer und kalte Winter – was soll daran neu sein?“ Dann folgt der Verweis auf das Wetter von 1976, auf einen Schneesturm in der Kindheit oder auf den verregneten Campingurlaub. Alles scheinbar logische Argumente – aber auf dem falschen Spielfeld.
Denn was wir im Alltag erleben, ist Wetter. Es ist lokal, kurzfristig, wechselhaft. Ein Sommer kann zu kühl ausfallen, obwohl das Klima sich insgesamt erwärmt. Es kann schneien, auch wenn die Durchschnittstemperaturen steigen. Der Klimawandel lässt Raum für Ausnahmen – aber nicht für die Richtung, in die sich alles bewegt.
Klima ist mehr als das Wetter von gestern. Es ist ein langfristiger Mittelwert – über 30 Jahre gemessen, weltweit ausgewertet.
Ja, die Erde hat sich schon oft gewandelt. Eiszeiten kamen und gingen, es gab Hitzeperioden, Trockenzeiten, Sintfluten. Jede dieser Veränderungen hatte Ursachen: Vulkanausbrüche, Schwankungen in der Erdumlaufbahn, Sonnenzyklen. Aber der Unterschied heute ist: Der aktuelle Wandel vollzieht sich schneller als je zuvor – und er folgt auffällig genau dem, was wir Menschen tun.
Die Hauptursache ist der Energiehunger der Menschheit: fossile Brennstoffe, industrielle Landwirtschaft, massenhafter Ressourcenverbrauch. Die CO₂-Kurve kennt keinen natürlichen Auslöser – sie folgt dem menschlichen Tun, nicht dem kosmischen Zufall. Wer behauptet, das sei wie früher, irrt: Noch nie hat sich das Klima durch eine einzige Spezies so stark verändert.
Und das betrifft nicht nur uns – es ist ein globales Phänomen. Die Folgen sind oft unsichtbar, vor allem für Länder, die glauben, von allem weit weg zu sein. Wenn in Südamerika der Regenwald weiter verschwindet, entsteht kein Loch über dem Chiemgau – aber ein Loch im globalen Gleichgewicht. Die Auswirkungen reisen mit den Winden, mit den Strömungen, mit dem Verschwinden der Bäume.
In Deutschland bemerkt man das selten direkt. Es gibt keine Sichtachse auf die Katastrophe. Nur gelegentlich mischt sich das Fremde in den Wetterbericht: „El Niño stärker als erwartet“. Ein Nebensatz. Und doch ist es genau das, was uns betrifft. Auch wenn es woanders beginnt.
Beispiel Bodensee: Der Wasserspiegel sinkt nicht, weil gerade eine Woche Sonne war. Er sinkt, weil immer weniger Gletscher überhaupt noch Wasser liefern. Viele Alpengletscher, die den See über Jahrzehnte gespeist haben, sind bereits verschwunden oder liefern nur noch wenig Schmelzwasser. Und während früher die Gletscher im Sommer kontinuierlich Wasser abgaben, kommt heute der größte Teil der Schmelze auf einmal – als Starkabfluss, der kaum gespeichert wird. Danach bleibt: weniger.
Auch die Verdunstung nimmt zu, weil es wärmer wird. Das Wasser verschwindet schneller, als es ankommt. Eine Mischung aus zu wenig Nachschub und zu viel Verlust. Und das ist kein Einzelfall – das ist ein langfristiger Trend, den man sehen kann, wenn man will.
Warum ist das so schwer zu akzeptieren?
Weil Wetter sichtbar ist und Klima abstrakt. Wetter spürt man. Klima muss man sich erklären lassen. Und das fällt schwer in einer Zeit, in der viele lieber selbst entscheiden wollen, was wahr ist – auch wenn es nicht stimmt.
Dazu kommt ein gesellschaftliches Phänomen: Die eigene Meinung ersetzt zunehmend die Auseinandersetzung mit Fakten. „Ich glaube das nicht – weil ich es anders empfinde.“ Die Wissenschaft wird verdrängt, aus Angst, aus Überforderung, manchmal schlicht aus Bequemlichkeit. Doch wer seine Haltung mit persönlichem Empfinden begründet, kann nicht so leicht zurück. Denn es ist schwierig, öffentlich zu sagen: „Ich habe mich geirrt.“
Doch genau das wird vielen bald bevorstehen. Denn was heute als Meinung daherkommt, wird morgen von der Wirklichkeit eingeholt. Wenn ältere Menschen an Hitzetagen sterben, wenn Kinder im Sommer nicht mehr raus können, wenn Pflanzen verbrennen statt wachsen – dann wird spürbar, dass das Klima nicht diskutiert, sondern handelt. Und das nicht irgendwann – sondern bald.
Wer dann noch glaubt, das sei übertrieben, wird keine Argumente mehr brauchen. Denn das, was die Wissenschaft seit Jahrzehnten sagt, wird sich nicht mehr wegdiskutieren lassen – weil es dann vor der eigenen Haustür steht.
Aber: Die Energiewende, der Umbau der Wirtschaft, neue Technologien, neue Verhaltensweisen – all das ist nicht das Ende der Freiheit, sondern eine Reaktion auf Fakten. Es geht nicht darum, jemandem das Auto zu verbieten oder die Bratwurst zu madig zu machen. Es geht darum, das Ganze zu sehen: Dass wir in einem System leben, das aus dem Gleichgewicht geraten ist. Nicht durch einzelne Sommertage – sondern durch Jahrzehnte falscher Energiepolitik, Industrialisierung ohne Rücksicht und dem Glauben, man könne mit der Natur verhandeln wie mit einem Parkplatzwächter.
Doch genau das ist der Denkfehler unserer Zeit: Die Natur ist kein Dienstleister, der bei Ärger eine Quittung ausstellt. Sie reagiert nicht auf Beschwerden, sondern auf Bilanzen – CO₂, Hitze, Wasser.
Insbesondere die Politik konservativer Parteien folgt oft einem Denkmodell, das auf kurzfristige Stabilität setzt – aber dabei langfristig destabilisiert.
„Après moi, le déluge“, soll Ludwig XV. gesagt haben – „Nach mir die Sintflut“. Ein Satz, der ursprünglich als Ausdruck aristokratischer Verantwortungslosigkeit gedacht war, hat heute erschreckende Aktualität. Besonders Parteien wie die AfD, FDP und CDU begehen hier den größten Fehler: Sie leugnen nicht nur Zusammenhänge, sie setzen auf ein System des Ignorierens – in der Hoffnung, es werde schon nicht sie selbst treffen.
Doch die Realität holt ein, was man nicht sehen will. Und das schneller, als es politischen Kalkülen lieb ist.
Doch ich schweife ab.
Klimawandel ist kein Glaube, keine Ideologie und kein Marketingtrick der Solarlobby. Er ist messbar. Die Temperaturkurven steigen, die Gletscher schrumpfen, Extremwetter nimmt zu. Das kann man leugnen, aber nicht verhindern.
Und dennoch: Es bringt nichts, Menschen als „Klimaleugner“ abzustempeln. Wer nicht überzeugt ist, braucht keine Moralpredigt, sondern gute Erklärung. Deshalb diese Reihe. Wir wollen zeigen, wie das Klima funktioniert, warum es sich verändert – und warum es auch die betrifft, die sich für unpolitisch halten. Weil das Wasser im Bodensee keinen Parteitag braucht, um zu verschwinden. Es geht einfach.
Lass uns reden !
Vielleicht fängt alles damit an, nicht mehr gleich loszubrüllen. Sondern einmal stehenzubleiben und zu schauen, ob der See wirklich flacher geworden ist. Ob die Wiese trockener ist als früher. Ob der Regen öfter kommt, wenn man ihn am wenigsten braucht. Und wenn es so ist – dann reicht vielleicht schon ein Gedanke: Was, wenn doch was dran ist?
Nicht weil’s jemand sagt, sondern weil man es sieht.
Wer das erkennt, hat schon mehr getan als jeder, der lautstark seine Meinung vertritt.
Vorschau auf die nächsten Folgen unserer Reihe
„Klima, Wandel, Wirklichkeit – was wirklich zählt“
- Klimapolitik ohne Lagerdenken
Was rechte und linke Narrative verhindern – und wie sachliche Lösungen aussehen. - Was tun – jenseits von Symbolpolitik?
Warum Mülltrennung nicht reicht – und was jeder Einzelne wirklich verändern kann. - Verzicht ist kein Feind – sondern ein Werkzeug
Was wir durch kluges Umdenken gewinnen – und warum weniger oft mehr bedeutet. - Industrie, Wirtschaft, Verantwortung
Wie Unternehmen von morgen denken müssen – und warum alte Modelle nicht überleben werden. - Was kommt – und was bleibt?
Ein realistischer Blick auf die kommenden Jahrzehnte. Zwischen Anpassung, Risiko und Hoffnung.