Der entthronte König

von Thomas Wendtland
Peter Fitzek in rotem Königsumhang mit Schwert in der Hand bei einer Inszenierung im Königreich Deutschland.

Die Meldung kam nüchtern, beinahe technokratisch: Peter Fitzek, der selbsternannte „König von Deutschland“, wurde festgenommen. Gemeinsam mit drei weiteren Mitstreitern sitzt er nun in Untersuchungshaft. Das Bundesministerium des Innern, geführt von Alexander Dobrindt, hat den Verein „Königreich Deutschland“ verboten.

Man spricht von einem durchgreifenden Schritt, von einem historischen Einschnitt, vielleicht gar von einem Neuanfang im Umgang mit der Szene der sogenannten Reichsbürger.

Dabei ist diese Szene längst keine Randerscheinung mehr, kein Kuriosum für verregnete Fernsehabende mit Bier und Fremdscham. Sie ist ein feingliedriges Netzwerk aus Misstrauen, Verweigerung und ideologischer Eskalation – gewachsen über Jahre, genährt von der Schwäche politischer Vermittlung und der Sehnsucht nach einer Ordnung, die einfacher, klarer, autoritärer erscheint als der mühselige Diskurs einer offenen Gesellschaft.

Der König ist weg – aber das Denken bleibt

Mit dem Verbot des KRD hat Alexander Dobrindt sich exponiert. Er hat sich nicht für die schweigende Toleranz entschieden, die seine Vorgänger zu oft walten ließen, sondern für ein sichtbares Zeichen. Und ja, dieses Zeichen war notwendig. Denn Fitzek war kein harmloser Spinner, kein bärtiger Träumer mit Pappkrone und Friedensplänen, sondern ein erfahrener Demagoge, der aus der Sehnsucht vieler nach Souveränität eine Maschinerie zur Selbstbereicherung machte. Ein Mann, der Grundrechte für sich beanspruchte, um sie anderen abzusprechen. Der aufklärerische Werte ablehnte und gleichzeitig auf ihr Fortbestehen zählte – ein paradoxes, parasitäres Verhältnis zum Staat, den er bekämpfte und benutzte zugleich.

Aber der entthronte König ist nicht das Ende der Geschichte. Er ist ihr sichtbarer Teil. Der unsichtbare, der gefährlichere Teil sitzt nicht in Haft. Er sitzt an Frühstückstischen in Brandenburg, in Wintergärten am Frühstückstisch in Schleswig-Holstein, in Einfamilienhäusern im Hunsrück, in Kneipen in Baden-Württemberg, wo man sich gegenseitig erklärt, dass alles Lüge sei. Dass der Staat ein Konstrukt ist. Dass nur wer sich verweigert, wirklich frei ist. Diese Erzählung, die längst zur eigenen Religion geworden ist, wird durch eine Verhaftung nicht zum Schweigen gebracht. Im Gegenteil. Sie bekommt nun Märtyrer.

Und während Fitzek seine Verteidigung vorbereitet – wahrscheinlich brillant inszeniert, mit pseudojuristischen Konstruktionen und einer Mischung aus Opfermythos und Sendungsbewusstsein – bleiben seine Anhänger nicht untätig. Sie sehen das Verbot als Beweis. Für das System, das unterdrückt. Für den Staat, der Angst hat. Für eine Wahrheit, die sich nur denen offenbart, die bereit sind, ihr ganzes Denken gegen die Norm zu stellen.

Der Rechtsstaat darf nicht nur handeln – er muss erklären

Alexander Dobrindt, nun Bundesinnenminister, hat gehandelt – und das war richtig. Doch es reicht nicht, einen Führer zu entthronen. Man muss auch den Glauben an seine Notwendigkeit erschüttern. Wer den König nur einsperrt, aber seine Legende weiterlaufen lässt, gewinnt keine Ordnung zurück – sondern schafft Märtyrer. Und die Geschichte hat uns gelehrt, wie gefährlich Märtyrer in unsicheren Zeiten sind.

Hier beginnt die eigentliche Aufgabe der Politik. Das Problem der Reichsbürger ist kein juristisches – es ist ein emotionales, ein gesellschaftliches, ein kulturelles. Man kann Strukturen verbieten, Vermögen beschlagnahmen, Webseiten sperren, Telegram-Kanäle überwachen. Doch man kann niemanden zwingen, zu glauben. Und genau das ist das Dilemma: Der Glaube an ein System entsteht nicht aus Paragrafen, sondern aus Vertrauen. Und Vertrauen entsteht durch Erfahrung, durch Zugehörigkeit, durch Repräsentation. Es entsteht dort, wo Menschen erleben, dass Regeln nicht Willkür sind, sondern Orientierung. Dass ein Gesetz nicht gegen sie steht, sondern für ein Miteinander. Dass es Sinn ergibt, wenn nicht jeder seinen Führerschein selbst druckt – weil das Vertrauen in eine gemeinsame Verkehrsordnung mehr Sicherheit bietet als jedes Einzelurteil. Und dass Ordnung nicht Unterdrückung, sondern Ermöglichung bedeutet – nicht als Zwang, sondern als Rahmen für Freiheit. Wer sich nie vertreten fühlte, wird sich auch nicht auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs verlassen. Wer nie gehört wurde, wird ein Verbot als weiteren Beweis für das große Schweigen deuten.

Alexander Dobrindt hat das Richtige getan – aber wird er es auch richtig begleiten? Wird seine Partei, die CDU, die nun wieder in Regierungsverantwortung steht, auch bereit sein, in Schulen, Volkshochschulen, auf Marktplätzen zu erklären, was ein Staat ist? Der Staat muss ungeheure finanzielle Mittel aufwenden, in Sozialprojekte investieren, in Möglichkeiten auf den Dörfern, dass die Menschen sich wieder begegnen – in Sportvereine, in freiwillige Feuerwehren, in Dorfgemeinschaftshäuser. Die Menschen brauchen Ablenkung, nicht den heimischen Fernseher, eine Schachtel Kippen, drei Bier und die immergleichen Empörungsrituale. Der Staat hat die Aufgabe, jene kaputten Strukturen zu reparieren, die Fitzek für sich nutzbar gemacht hat – mit Nähe, mit Teilhabe, mit Investitionen in echte Begegnung. Und das wird kosten. Wird dafür kein Geld aufgewendet, wird man sparen am falschen Ort. Und dann, das ist fast schon sicher, wird der nächste Fitzek kommen.

Wenn das Verbot nichts weiter war als eine Inszenierung – ein populistisches Muskelspiel der neuen Regierung, das beruhigen soll, aber in den Seelen nichts heilt –, während man zugleich das Soziale verschärft, das Asylrecht stutzt und Debatten nur noch Ängste füttern, statt sie zu entlarven, dann hat man den König vielleicht gestürzt, doch das Bedürfnis nach ihm bleibt. Der Thron ist leer – und gerade deshalb so verführerisch.

Der Riss geht nicht durch das Reich, sondern durch die Republik

Was die Reichsbürgerszene offenbart, ist kein Sonderfall. Sie ist ein Brennglas. Sie zeigt, wie fragil unsere Ordnung ist, wie dünn das Eis des Konsenses geworden ist. In den 90ern hätte man Fitzek belächelt. Heute ist man vorsichtig. Weil man weiß, wie schnell aus Spinnern Täter werden, aus Ideen Taten, aus Erzählungen Gewalt. Und weil man weiß, dass das Misstrauen nicht nur dort wächst, wo Pseudostaaten ausgerufen werden, sondern auch mitten in der Gesellschaft, unter Menschen, die sich zurückgezogen haben – nicht aus der Welt, sondern aus dem Gespräch.

Der Staat ist kein monolithisches Gebilde. Er ist das, was wir aus ihm machen. Er lebt nicht in Paragraphen, sondern in Begegnungen. In Schulen, in Behörden, in Gesprächen an der Bushaltestelle. Und wenn wir diese Orte vernachlässigen, entsteht ein Vakuum. Dieses Vakuum füllen dann Männer wie Fitzek – mit alten Fahnen, neuen Lügen und dem Versprechen, dass die Welt endlich wieder einfach wird.

Der Rechtsstaat darf wehrhaft sein. Er darf auch hart sein. Aber er muss dabei offen bleiben. Er muss sich erklären. Immer wieder. Auch dann, wenn es mühsam ist. Denn die Alternative ist nicht Ruhe – sondern Radikalisierung im Stillen.

Fitzek sitzt in U-Haft. Sein Reich ist verboten. Doch das Denken, das ihn trug, ist noch da. Es wartet. Es horcht. Und es wird sich neu formieren, wenn wir es nicht ernst nehmen.

Das Ende des Königreichs Deutschland ist keine Entwarnung. Es ist ein Auftrag. Ein Auftrag, der nicht mit Durchsuchungen endet – sondern mit einem Satz beginnt: Wir sind der Staat. Und wir müssen ihn jetzt erklären.

Infokasten: Was ist das „Königreich Deutschland“?

Das „Königreich Deutschland“ (KRD) wurde 2012 von Peter Fitzek gegründet. Es handelt sich um eine staatsfeindliche Vereinigung aus der Reichsbürgerszene, die die Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtsordnung ablehnt. Fitzek inszenierte sich als „König“, rief eigene Institutionen aus, stellte Ausweise, Führerscheine und Bankgeschäfte aus – ohne staatliche Legitimation. Das KRD ist Teil einer wachsenden Szene von sogenannten Reichsbürgern und Selbstverwaltern, die sich durch Verschwörungsdenken, staatliche Ablehnung und oft auch durch Betrugsdelikte hervortun.

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