Es war ein stiller, fast beiläufiger Beschluss, den man der Öffentlichkeit hinhielt wie einen vergilbten Zettel an einer Amtswand. Die Bezahlkarte für Geflüchtete, so der offizielle Begriff, wurde eingeführt, um Transparenz zu schaffen, Missbrauch zu verhindern, Systeme zu entlasten.
So erklärte man es zumindest. In Wahrheit aber markiert sie einen stillen Rückschritt. Einen, der sich nicht nur an der Würde des Menschen versündigt, sondern an unserem Selbstverständnis als Gesellschaft.
Denn was ist eine Gesellschaft, die Menschen in Not mit Systemen konfrontiert, die Misstrauen atmen, bevor sie Hilfe gewähren? Was ist ein Staat, der das Schicksal traumatisierter Geflüchteter in Prepaid-Systeme einsperrt, die überwacht, reglementiert und selektiert, statt zu unterstützen? Wer Geld gibt, soll nicht bestimmen, wie es verwendet wird. Wer Vertrauen schenkt, sollte es nicht gleich überwachen. Die Bezahlkarte tut beides nicht.
Stattdessen verkehrt sie das Prinzip der Hilfe in sein Gegenteil: Sie schürt Misstrauen, wo Vertrauen nötig wäre. Sie unterstellt pauschal, dass Geld missbraucht werden könnte, dass Überweisungen ins Ausland zweifelhafte Motive hätten. Dabei zeigen Beispiele aus ganz Deutschland, dass der Großteil der Geflüchteten das tut, was jeder andere Mensch in einem neuen Land ebenfalls tun würde: Sie kaufen ein. Sie kaufen Brot. Windeln. Waschmittel. Es ist ein zutiefst menschlicher, ein zutiefst unspektakulärer Alltag, den die Bezahlkarte misstrauisch beäugt.
Und währenddessen tobt ein Theater auf Bühnen, die sich Informationslandschaft nennen. Vor allem in der „Bild“, deren Sensationslust inzwischen nicht mehr zu übersehen ist. Was einst als Boulevard begann, ist längst zum populistischen Sprachrohr mutiert, das sich der Komplexität gesellschaftlicher Fragen verweigert. Unter Mathias Döpfner und seinen Getreuen wird Empörung nicht mehr hinterfragt, sondern inszeniert. Wer dort nach Information sucht, findet vielmehr Erregung. Die Berichterstattung über die Bezahlkarte zeigt das exemplarisch. Da wird ein Bürgermeister zitiert, der vom „Murks“ spricht, und gleich darauf folgt eine Flut von Beispielen, wie man das System austricksen kann. Als sei es ein sportlicher Wettkampf, kein Ausdruck von Not.
Dabei ist der eigentliche Skandal ein anderer: Dass wir Menschen, die Tod und Folter entkamen, nun mit einem Punktecode belegen, der sie noch weiter entfremdet. Dass sie sich in Brandenburg oder Sachsen an ehrenamtliche Initiativen wenden müssen, die ihre Gutscheine in Bargeld umtauschen. Nicht um sich daran zu bereichern, sondern um schlicht am Leben teilzuhaben. Und ja, es ist korrekt: In Bayern, Sachsen oder Thüringen kann man mit der Karte kein Geld überweisen. In Niedersachsen oder NRW jedoch kann man mit ihr Gutscheine für Amazon kaufen, sie verschicken und so den Umweg über das System finden. Das ist kein Missbrauch. Das ist Kreativität. Es ist menschliche Resilienz gegen ein unmenschliches System.
Und wie so oft stellt sich die Frage: Wem nützt es? Die Karte kostet Millionen. Sie verlangt Infrastruktur, Kontrolle, Administration. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, wie Bürokratie sich selbst erhält. Und wie man vermuten kann, gibt es Profiteure. Anbieter, Hersteller, Lobbys. Systeme dieser Art entstehen nie aus dem Nichts. Sie sind Ergebnisse von Gesprächen hinter verschlossenen Türen. Gespräche, die selten das Wohlergehen der Menschen im Blick haben.
Die Bezahlkarte, sie ist ein Symbol. Ein Symbol dafür, wie tief wir gefallen sind im Umgang mit Schutzsuchenden. Sie zeigt, dass unsere Hilfsbereitschaft konditioniert ist. An Bedingungen. An Konformität. An Misstrauen. Es ist nicht mehr das Bild des leidenden Menschen, das unser Handeln bestimmt, sondern das des potenziellen Betrügers.
Das jedoch darf nicht unser Kompass sein. Wer wirklich helfen will, muss loslassen können. Muss vertrauen. Und vor allem: muss aufhören, Menschen zu verwalten wie Akten.
Die Bezahlkarte gehört abgeschafft. Nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus menschlichen. Sie ist ein Irrweg, ein teurer obendrein. Und in einer Zeit, in der wir über Würde, Integration und Zukunft sprechen wollen, braucht es andere Antworten als einen digitalen Maulkorb.
Mehr noch: Es besteht die reale Gefahr, dass derartige Kontrollsysteme perspektivisch auch auf andere Gruppen ausgeweitet werden – etwa auf Empfängerinnen und Empfänger der neuen Grundsicherung. Wer heute Geflüchteten die Würde durch technokratische Systeme nimmt, wird morgen womöglich auch den bedürftigen Menschen im eigenen Land das letzte Stück Selbstbestimmung rauben. Was heute als Einzelfall verkauft wird, könnte schon morgen zum Standardinstrument werden. Und genau davor sollten wir uns schützen.
Quellen-Nachweis • Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Bezahlkarte_f%C3%BCr_Gefl%C3%BCchtete • Eigene Recherchen, Redaktion Yivee
ⓘ Infokasten
Was ist die Bezahlkarte?
Die Bezahlkarte ist ein digitales Zahlungsmittel für Asylbewerber:innen in Deutschland. Sie ersetzt in mehreren Bundesländern teilweise die Barauszahlung von Leistungen. Ziel sei es, Missbrauch zu verhindern. Kritiker sprechen jedoch von Entmündigung, Kontrolle und Stigmatisierung – und von einem Schritt in die falsche Richtung.