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Die neue Freiheit fährt für fünf Euro

von Thomas Wendtland
Junger Mann mit Drei-Tage-Bart steigt bei Sonnenuntergang in einen SUV und blickt auf sein Smartphone, bereit für eine vermeintlich flexible Jobfahrt.

Einen Job zu finden? Laut Aussagen vieler Politiker sei das kinderleicht. Überall herrsche Fachkräftemangel, die Wirtschaft brummt, und Unternehmer klagen in den höchsten Tönen darüber, dass sie nicht das bekommen, was sie angeblich dringend brauchen: junge Menschen.

Möglichst formbar, möglichst unter finanziellem Druck – und am besten bereit, sich der Märchenwelt der hippen Startups mit Drei-Tage-Bart-Ästhetik zu unterwerfen. Doch hinter dem Hochglanz steht oft nur ein Ziel: der eigene Lamborghini. Finanziert durch die Unerfahrenheit anderer.

Warum viele Startups glänzen, aber junge Menschen ausnutzen

In den Imagefilmen sieht alles leicht aus. Ein junger Mann mit Dreitagebart und Apple-Watch steigt lässig in einen SUV, den er im Auftrag eines „innovativen Mobilitätsdienstleisters“ von Hamburg nach München bringen soll. Dazwischen: Coffeebreaks, schöne Landschaften, ein Lächeln für den Algorithmus. „Flexibel arbeiten, Freiheit genießen“ steht darunter in pastellfarbener Typo.

Die Realität beginnt, wenn die Kamera ausgeht.

Denn wer die Szene betritt, ohne Teil des Inszenierungsteams zu sein, erlebt statt der versprochenen Freiheit oft ein prekäres Netz aus Wartezeiten, Selbstkosten, Unsicherheiten – und einem Mindestlohn, der in der Praxis oft nur rechnerisch greift. Willkommen in der Welt der modernen Fahrzeugüberführungen.

Das Prinzip: fahren, warten, zahlen

Was nach einem simplen Auftrag klingt – Auto A von Ort X nach Ort Y bringen – wird zum ökonomischen Drahtseilakt. Die Fahrzeit wird entlohnt. Die Wartezeit? Nicht. Die Rückfahrt? Muss oft selbst organisiert und bezahlt werden. Schlafen im Bahnhof, Umsteigen mit Koffern, Diskussionen mit Fahrdienstleitungen, wenn das Ticket „verloren gegangen“ ist – all das sind keine Anekdoten, sondern Alltag.

Und die Entlohnung? Formal: Mindestlohn. De facto: Wenn man das Ganze auf den Tag rechnet, kommt man oft auf weniger als fünf Euro pro Stunde. Und das auch nur, wenn der Zug nicht ausfällt.

Warum das erlaubt ist?

Weil der Markt es hergibt. Und weil Gesetze zwar Mindeststandards setzen, aber bei Subunternehmen, Freelancern und Konstruktionen aus Drittanbietern oft hilflos danebenstehen wie ein betrunkener Türsteher.

In einem Markt, in dem Kontrolle ein Fremdwort geworden ist, regiert die Selbstinszenierung.

Der Schein und das Schweigen

Die Firmen heißen meist wie Apps: kurz, englisch, cool. Ihre Websites sind schick, ihre Werbesprache weichgespült. Man umarme die Zukunft, fördere Talente, sei Teil eines „großen Ganzen“. Doch wer unter die Haube schaut, entdeckt statt Innovationskraft oft die Rückkehr zu einer alten Idee: Die Verantwortung wird ausgelagert, das Risiko individualisiert, der Profit bleibt zentralisiert.

Wer sich beschwert, fliegt raus. Wer schlechte Bewertungen schreibt, wird ignoriert oder durch gefakte Fünf-Sterne-Kommentare verdrängt. Bewertungsportale sind längst kein Ort der Wahrheit mehr – sie sind Teil der Fassade.

Und so gleiten Tag für Tag junge Menschen durch Autobahnen und Schlafwagen, weil sie glauben, Teil eines modernen Systems zu sein. In Wahrheit sind sie Teil eines bekannten Spiels: dem mit der Hoffnung und der Not.

Vom Startup zum Ausbeuter – wie der Wandel gelingt

Viele dieser Unternehmen kommen aus dem Ausland. Nicht zufällig, sondern mit System. Denn dort, wo Sozialstandards höher sind, lohnt sich der Griff in die deutsche Flexibilitätskultur besonders. Der hiesige Arbeitsmarkt erlaubt allerlei Grauzonen: Man muss nur wissen, wie man sie nutzt – und wie man Kritik abwiegelt.

Die Sprache dieser Firmen ist eine eigene Disziplin. Sie ist freundlich, aber ausweichend. Innovativ, aber ohne Inhalt. Sie verspricht Beteiligung, aber meint Kontrolle. Und sie lobt stets die „Eigenverantwortung“ – ein Codewort für: Wenn du fällst, bist du selbst schuld.

Wer schützt eigentlich die Jungen?

Es gibt keine Lobby für Menschen, die hoffen, über Überführungsjobs über die Runden zu kommen. Die Gewerkschaften sind zu schwerfällig für dieses Feld, die Politik zu weit weg. Und der Zoll, der theoretisch zuständig wäre für die Einhaltung des Mindestlohns, taucht meist dort auf, wo Bauarbeiter mit Migrationshintergrund gesehen werden – nicht bei App-gestützten Überführungsdiensten mit schicken Logos.

Die Wahrheit hinter dem Glanz

Diese Firmen präsentieren sich wie Silicon-Valley-Märchen: schnell, smart, lösungsorientiert. In Wirklichkeit tragen sie die DNA der Leiharbeit in neuer Verpackung. Und sie operieren auf einem Markt, der sich immer schneller dreht, immer lauter schreit – aber immer schlechter hinhört.

Was bleibt, ist ein strukturelles Wegsehen. Und eine junge Generation, die sich in der Hoffnung auf Flexibilität selbst über den Tisch zieht.

Schützen wir diese jungen Menschen.

Nicht mit Sonntagsreden, sondern mit Konsequenz. Tun wir endlich das, wozu wir fähig sind: Blenden wir die Gier aus – und sprechen den Blendern eine unmissverständliche Absage aus. Kein Startup-Bonus mehr für Scharlatane im Hoodie, die mit kalkulierter Coolness die Not anderer ausbeuten. Intensivere Prüfungen durch Finanzämter, Jobcenter – und wenn nötig auch mit polizeilicher Begleitung. Und ja: Ändern wir die Gesetze. Wer aus Berechnung Existenzen zerstört, gehört nicht gefördert, sondern verurteilt – mit Strafen, die dem Schaden entsprechen. Zehn Jahre sind nicht zu viel, wenn man die Zukunft junger Menschen vorsätzlich verbrennt.

Setzen wir ein Zeichen.

Auch ihr, ihr Politiker, brecht mit dem Appeasement, das diesen Tätern den roten Teppich ausrollt. Nennt sie, wie sie sind: Verbrecher in Startup-Maske. Und behandelt sie auch so.

Schafft Anreize für ehrliche Arbeit. Nicht für schnelle Versprechen und die Illusion vom leichten Geld. Hört endlich auf, die Mär zu verbreiten, man könne in Deutschland jederzeit und überall eine Stelle finden. Ihr wisst genau, dass das nicht stimmt. Also: Hört auf mit euren Lügen – und sagt endlich die Wahrheit.

Deutschland muss wieder lernen, unbequeme Wahrheiten zu akzeptieren. Junge Menschen brauchen Perspektiven, keine Parolen. Wer ihnen einredet, das Geld liege auf der Straße, handelt nicht aufbauend, sondern gefährlich – und züchtet eine Generation, die ins Leere greift.

Fahrzeugüberführer werden oft als „flexible Dienstleister“ beworben, doch in der Praxis zahlen viele Firmen nur die reine Fahrzeit. Wartezeiten, Rückreise, Übernachtung oder Organisation bleiben unvergütet. Häufig erfolgt die Beschäftigung als freie Mitarbeit, sodass arbeitsrechtliche Schutzmechanismen umgangen werden. Besonders betroffen sind junge Menschen ohne Berufserfahrung oder in finanzieller Notlage.

Quellen-Nachweis
– Erfahrungsberichte auf Kununu, Trustpilot, Indeed (anonymisiert)
– Gespräche mit Betroffenen (2023–2025)
– Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Mindestlohngesetz, Anwendungshinweise
– Beobachtungen von Marktanalysten zu Jobplattformen im Niedriglohnsektor
– Eigene Recherche im Rahmen der Plattform yivee.de

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