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Faule Katzen und ratlose Menschen

von Carsten Bornhöft
Schlafende Katze auf einem grünen Tuch in einer mediterranen Gasse – entspannt und völlig unbeeindruckt vom menschlichen Alltagstrubel

Es ist ein Ritual der digitalen Gegenwart: Jemand sucht bei Google „Katze spielt nicht mehr“, und binnen Sekunden offenbart sich ein Panorama aus Warnungen, Expertenratschlägen und Sofortmaßnahmen, oft garniert mit überdrehten Titeln wie: „10 Gründe, warum Ihre Katze depressiv ist – Nr. 7 wird Sie schockieren!“

Viele Portale, die mit einer Mischung aus psychologischer Küchenweisheit und dramatisierter Problemorientierung suggerieren: Wenn deine Katze nicht spielt, dann läuft etwas gewaltig schief. Doch vielleicht läuft sie einfach nur nicht mit. Und vielleicht ist genau das ihr stiller Kommentar zur überdrehten Sorgekultur, die Haustiere zunehmend zu therapeutischen Projekten macht.

Was heißt „nicht spielen“ eigentlich?

Was dem einen eine vergnügliche Jagd nach einer Filzmaus ist, ist dem anderen schlicht Zeitverschwendung. Wer Katzen wirklich kennt – nicht als Instagram-Figur, sondern als Wesen –, weiß um ihre Vielstimmigkeit: Manche fegen mit zehn Jahren noch wie ein Tornado durchs Wohnzimmer, andere sitzen als Jungtiere bereits mit der Ruhe eines Zenmeisters am Fenster. Es gibt das Spiel aus Jagdtrieb, das Spiel aus Neugier, das Spiel aus Revierverhalten – und das Spiel, das keines ist, sondern eher Bewegungstherapie aus eigenem Antrieb.

Die Vorstellung, ein Tier müsse regelmäßig „spielen“, um gesund zu sein, ist eine Übertragung menschlicher Vorstellungen von Entwicklung, Beschäftigung und Selbstoptimierung auf ein Wesen, das im Kern andere Taktgeber hat. Auch wir spielen nicht immer, und selbst Kinder haben Tage, an denen sie sich lieber verkriechen, statt zu toben. Warum sollte das bei einer Katze anders sein?

Ursachen – seriös betrachtet

Natürlich gibt es Gründe, warum ein Tier, das zuvor verspielt war, plötzlich passiv wird. Krankheiten – von schleichenden Gelenkschmerzen über Zahnprobleme bis zu Magen-Darm-Störungen – können das Verhalten verändern. Ebenso wirkt sich mentale Reizüberflutung aus, besonders bei Wohnungskatzen, denen oft die Möglichkeit zur freien Erkundung fehlt. Aber das ist kein pauschales Urteil, sondern eine differenzierte Abwägung.

Nicht jede ruhige Katze ist unterfordert, nicht jede energiegeladene eine gesunde. Und nicht jede Spielverweigerung muss therapiert werden. Manchmal ist es schlicht eine Phase. Manchmal ist es Ausdruck von Vertrauen: Wer sich sicher fühlt, muss nicht jagen. Und manchmal ist es – ganz nüchtern – schlicht Langeweile am Repertoire des Menschen. Denn viele Tiere spielen nicht „nicht“, sondern „nicht so“.

Die Psychologisierung von Katzenseelen – ein neuer Markt?

Es fällt auf: Kaum ein Bereich wächst so schnell wie der der tiergestützten Verhaltensanalyse. Online-Coachings für Katzenpsychologie, Zoom-Sitzungen mit Katzen-Therapeuten, spezialisierte Bücher über „traumatisierte Wohnungskatzen“. Was hier geschieht, ist nicht per se falsch – aber häufig überdreht.

Denn aus dem simplen Umstand, dass ein Tier heute nicht so agiert wie gestern, wird nicht selten ein Krankheitsbild geformt. Was früher schlicht als „Eigenart“ oder „Laune“ galt, wird nun problematisiert, katalogisiert, monetarisiert. Die Katze als Patientin einer Aufmerksamkeitsökonomie, in der jede Abweichung vom Normverhalten sofort Aufmerksamkeit und – zumeist kostenpflichtige – Gegenmaßnahmen verlangt.

Was hier geschieht, ist auch eine Projektion: In einer Welt, in der Menschen zunehmend mit ihrer eigenen Dysregulation ringen, ist es nur konsequent, die vermeintliche Unordnung auch im Tier zu entdecken.

Der Mensch im Mittelpunkt – nicht die Katze

Was wir Katze nennen, ist oft nur noch eine Folie für das eigene Bedürfnis nach Resonanz. Das Tier soll bitte niedlich, verspielt, aktiv, ansprechbar und dabei individuell sein – aber eben nicht zu individuell. Es soll Nähe geben, aber nicht fordern. Reagieren, aber nicht widersprechen. Und vor allem: es soll unterhalten.

In diesem Anspruch liegt ein Missverständnis, das tiefer reicht als jede Katzenseele: Das Haustier als Projektionsfläche für menschliche Bedürfnisse. Als Kindersatz, als therapeutischer Spiegel, als Wellnesspartner mit Fell. Wer so denkt, stellt nicht nur überhöhte Erwartungen, sondern verkennt das Wesen des Tiers. Die Katze als stille Anarchistin im System der Selbstverwirklichung: Sie verweigert sich, nicht aus Krankheit – sondern aus Instinkt. Aus Souveränität.

Katzen brauchen kein Entertainment-Programm

Wenn die Katze nicht spielen will, dann will die Katze nicht spielen. Punkt. Wir Menschen können daran wenig ändern. Sie wird schon spielen – vielleicht, wenn wir nicht hinschauen. Vielleicht draußen, wenn wir längst glauben, sie läge faul im Gebüsch. Es soll Katzen geben, die es lustig finden, Pusteblumen mit der Pfote anzutippen. Und das reicht dann auch.

Katzen brauchen kein Entertainment-Programm, das auf menschliche Bedürfnisse zugeschnitten ist. Sie spielen dann, wenn sie es wollen – nicht, wenn wir es erwarten. Spiel ist wichtig, klar: Bewegung, Reize, Bindung – all das braucht das Tier. Aber der Zwang zur permanenten Aktivität dient vor allem einem: der Belustigung des Menschen.

Wer Katzen liebt und Katzen kennt, weiß: Von 24 Stunden am Tag werden 22 verschlafen. Die restlichen zwei gehören nicht uns, sondern der Katze. Und das ist gut so.

Nicht alle Katzen spielen regelmäßig. Altersunterschiede, Charakter und Tagesform beeinflussen das Verhalten. Wer sich Sorgen macht, sollte gesundheitliche Ursachen ausschließen – aber nicht jedes Ruhebedürfnis pathologisieren. Die zunehmende Psychologisierung tierischer Eigenarten ist oft überzogen und folgt kommerziellen Interessen.

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