In den Medien häufen sich derzeit die Meldungen über Insolvenzen – von großen Namen wie Tupperware bis zu einst gefeierten Start-ups wie Lilium oder Volocopter. Populistische Stimmen nutzen diese Nachrichten, um ein Bild vom wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands zu zeichnen. Doch wie real ist dieses Bild wirklich? Ist es Ausdruck einer systemischen Krise – oder erleben wir gerade schlicht einen marktwirtschaftlichen Reinigungsprozess, der alte Gewissheiten infrage stellt und neue Strukturen ermöglicht?
Dabei wird häufig auf äußere Einflüsse verwiesen – etwa die gestörten Beziehungen zu Russland, die insbesondere im Energiesektor zu Umbrüchen führten. Doch so bedeutend diese Faktoren auch erscheinen mögen: Im Vergleich zu den tiefgreifenden strukturellen Veränderungen in der Unternehmenslandschaft spielen sie eher eine Nebenrolle. Viel weitreichender sind die Folgen jahrelanger Abhängigkeit von billigem Geld – und dennoch versucht die neue Bundesregierung, denselben Weg weiterzugehen: mit Subventionen, Hilfspaketen, steuerlichen Anreizen. Es ist ein Weg, der bereits in der Vergangenheit seine Grenzen gezeigt hat. Geld als Patentrezept funktioniert nur so lange, wie Vertrauen und Struktur vorhanden sind. Doch wenn man die Symptome einer wirtschaftlichen Erschöpfung mit immer neuen Finanzmitteln überdeckt, bleibt der eigentliche Umbau aus. Es ist, als klebe man ein Pflaster auf ein Fundament, das längst Risse zeigt. Geld allein wird nicht reichen, um die Richtung zu korrigieren. Hinzu kommt die Trägheit großer Konzerne und das Auseinanderklaffen von Innovationsversprechen und tatsächlicher Marktfähigkeit.
ⓘ Insolvenzen im Überblick: Im Jahr 2024 wurden in Deutschland laut Creditreform rund 22.400 Unternehmensinsolvenzen gemeldet – ein Anstieg von 24,3 % gegenüber dem Vorjahr. Besonders betroffen waren Unternehmen aus den Bereichen Bau, Einzelhandel, Logistik und Gastronomie. Der Trend zeigt: Der wirtschaftliche Druck nimmt weiter zu – doch nicht alle sind gleichermaßen betroffen.
Ein weiterer geopolitischer Aspekt, der selten offen benannt wird, ist die Tatsache, dass die amerikanische Wirtschaftspolitik zunehmend protektionistische Züge verfolgt – mit massiven Subventionen für die heimische Industrie und einer gezielten strategischen Entkopplung von europäischen Mitbewerbern. Auch das hat Folgen für deutsche Unternehmen, die zunehmend unter Wettbewerbsdruck geraten – nicht nur aus Asien, sondern auch von einem zunehmend selbstbewussten Washington.
Der Wandel kommt – und er kommt schnell. Er kommt tiefgreifend, sichtbar, unumkehrbar. Die deutsche Wirtschaft steht vor einer Zäsur, die man spürt, ohne dass sie jemand so recht greifen kann. Was unscheinbar wirkte, blüht auf. Es ist ein schmerzhafter, aber auch notwendiger Wandel, bei dem das Alte nicht einfach verschwindet, sondern in Frage gestellt wird. Und dieser Wandel geschieht – schneller, als viele wahrhaben wollen. Aber er geschieht nicht zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland, sondern könnte in seiner Konsequenz sogar zu einer neuen Stabilität führen.
Der Absturz der Visionen
Noch vor wenigen Jahren standen Lilium und Volocopter für eine Zukunft, in der der Himmel nicht die Grenze, sondern der Markt ist. Milliardeninvestitionen, Auftritte auf Technologiemessen, prominente Geldgeber – alles schien auf Expansion ausgerichtet. Doch aus großen Visionen wurden offene Fragen. Warum scheiterten diese Unternehmen? Die Gründe sind unterschiedlich, aber sie lassen sich auf ein gemeinsames Muster zurückführen: Überschätzung des Marktes, Unterschätzung der Umsetzung. Bei Lilium etwa flossen Unsummen in Entwicklung und Marketing, doch am Ende fehlte ein zugelassenes Produkt. Volocopter stand lange im Rampenlicht, schaffte es aber nie zur Marktreife. Und Tupperware? Ein Symbol für eine Zeit, in der Plastik noch mit Zukunft und Bequemlichkeit assoziiert wurde. Heute steht es für das Gegenteil. Bei Ebrosia hingegen, einem deutschen Weinhändler, entstanden die Probleme tatsächlich noch durch die Corona-Zeit. In jener Phase, in der die Menschen zu Hause blieben und ihre Bestellungen online entgegennahmen, investierte das Unternehmen stark in Infrastruktur und Logistik. Doch diese Investitionen tragen sich nicht mehr, seit der stationäre Handel mit der neu gewonnenen Freiheit des Einkaufens wieder erstarkt ist. Ebrosia steht nun vor einer möglichen Schließung in Sachsen – sofern die Insolvenz nicht noch abgewendet werden kann. Vielleicht eröffnet sich aber auch eine Chance: Unternehmen im Onlinehandel könnten enger zusammenrücken oder sogar verschmelzen, um in Zukunft effizienter zu wirtschaften und wenigstens dort Arbeitsplätze zu sichern. Auch bei kleineren Einzelhandelsgeschäften und Handwerksbetrieben schlagen negative Zahlen deutlich zu – was nicht nur betriebswirtschaftliche Ursachen hat, sondern auch ein Indiz ist für die derzeitige gesellschaftliche Stimmung. Dabei werden diese Probleme nicht vorrangig durch Regierungen oder politische Entscheidungen verursacht, sondern vielmehr durch einen demagogisch geprägten Wandel in der Gesellschaft und – nicht zuletzt – durch den schwindenden Willen, sich als Unternehmer neu zu erfinden. Oft fehlt es an Mut, eingefahrene Wege zu verlassen. Und dennoch gibt es sie: die kleinen Geschäfte, die durch kluge Ideen, neue Konzepte und Anpassungsfähigkeit auch in rauem Fahrwasser bestehen können.
Insolvenzen wie diese sind nicht nur Einzelfälle, sondern Symptom eines größeren Strukturwandels. Sie zeigen, wie schnell sich wirtschaftliche Realitäten verschieben können, wenn Erwartungen und Realität auseinanderklaffen. Zugleich offenbaren sie die Risiken einer Ökonomie, die auf schnelle Skalierung und permanente Finanzierung setzt.
Neue Gewinner, neue Geschichten
Während die Schlagzeilen von Insolvenzen dominiert werden, bleiben andere Entwicklungen oft unbeachtet. Mittelständische Betriebe, inhabergeführt, wenig spektakulär, aber stabil, schreiben leise ihre Erfolgsgeschichten. Es sind Firmen, die sich durch Kontinuität und Anpassungsfähigkeit auszeichnen. Ihre Produkte sind nicht disruptiv, aber gefragt. Ihre Prozesse nicht bahnbrechend, aber effizient. Hier wird nicht auf Schlagzeilen spekuliert, sondern auf langfristige Kundenbeziehungen gesetzt.
Diese Unternehmen profitieren von einem Konsumwandel, der sich in der Pandemie beschleunigt hat. Regionalität, Nachhaltigkeit, Verlässlichkeit – das sind die neuen Währungen im Wettbewerb. Wer sich hier richtig positioniert, gewinnt Vertrauen. Und Vertrauen ist eine der wenigen Ressourcen, die in Krisenzeiten nicht an Wert verlieren.
Zwischen Konsolidierung und Neuaufbruch
Dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen zuletzt wieder deutlich gestiegen ist, überrascht kaum. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich verschärft: Energiepreise, Lieferengpässe, Zinswende. Doch die aktuelle Entwicklung ist mehr als eine konjunkturelle Delle. Es ist ein Selektionsprozess, bei dem sich zeigt, wer sein Geschäftsmodell an veränderte Realitäten anpassen kann – und wer nicht.
Dabei ist nicht automatisch das größte oder innovativste Unternehmen im Vorteil. Oft sind es die flexiblen, gut vernetzten, lokal verankerten Player, die die Wende schaffen. Der Mittelstand, lange als Rückgrat der deutschen Wirtschaft beschworen, beweist erneut seine Bedeutung.
Die Spreu trennt sich vom Weizen. Nicht weil ein unsichtbarer Marktmechanismus das so will, sondern weil die Bedingungen klarer geworden sind. In einer Welt, in der Unsicherheit zur Konstante wird, zählt Substanz mehr als Vision. Und doch bleibt Platz für Neues. Denn jede Krise schafft auch Raum für Ideen, für mutige Ansätze, für einen anderen Blick auf das, was Wirtschaft leisten soll. Und das ist es letztendlich auch, was die Bundesrepublik Deutschland ausmacht – oder genauer gesagt: was die Deutschen ausmacht. Wir haben keine Krise, sondern wir haben einen Aufbruch. Einen Aufbruch in eine neue Zeit, digital unterstützt, durch Künstliche Intelligenz, durch Fantasie und Willenskraft. Made in Germany war nie nur ein Etikett – es war eine Haltung, die sich gerade neu erfindet.
Quellen-Nachweis Statistisches Bundesamt, Creditreform, Tagesschau, Handelsblatt, Reuters, Welt.de, Wikipedia (Tupperware, Lilium, Volocopter), eigene Recherchen.