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Neue Pfändungsfreigrenzen

by Thomas Wendtland
Geldscheine und Münzen

Immer mehr Menschen stecken in der Schuldenfalle – und das trotz der zum 1. Juli 2025 neu festgelegten Pfändungsfreigrenzen. Die neue Grenze von 1.555 Euro mag auf dem Papier wie eine Entlastung wirken, doch in der Realität reicht sie kaum aus, um in den zentralen Lebensbereichen spürbare finanzielle Freiräume zu schaffen. Statt Entlastung bleibt für viele nur der Druck – und ein System, das eher verwaltet als befreit.

Pfändungsfreigrenzen – ein sperriges Wort, das klingt wie eine Steuererklärung auf Knäckebrot. Und doch, mitten im gesetzgeberischen Dickicht, finden sich jene Zahlen, die darüber entscheiden, ob der Mensch mit Schulden atmen kann oder langsam in ihnen erstickt. Seit Jahren werden sie angepasst, fein justiert wie ein vergilbter Thermostat am alten Heizkörper. Nun also ab 1. Juli 2025: 1.555 Euro Grundfreibetrag. Klingt nach Fortschritt, nach sozialer Gerechtigkeit. Ist es das?

Der Staat erhöht die Freigrenze, ein wenig. Man jubelt leise, wie man es tut, wenn der Busfahrer einmal auf einen wartet. Dabei ist die Anpassung nichts als eine Reaktion auf die übliche Preissteigerung. Mieten explodieren, Supermärkte gleichen Schatzkammern, Heizung wird zum Luxusartikel. Und doch: Die Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen liegt marginal unter dem, was die Realität diktiert. Ein Inflationsausgleich light. Mit Stevia statt Zucker.

Wer hat das eigentlich beschlossen? Und weshalb?

Die rechtliche Grundlage für die Festsetzung der Pfändungsfreigrenzen ist der § 850c der Zivilprozessordnung (ZPO). Dort heißt es: Die Freibeträge orientieren sich am steuerlichen Existenzminimum. Eine juristisch saubere Formel. Aber auch eine kalte. Denn das steuerliche Existenzminimum ist ein Rechenwert, kein Menschenbild.

Ein neues Insolvenzrecht muss her: Befreiung statt Belehrungen

Die wahre Frage ist: Welche Vorstellung vom Menschen und seiner Teilhabe liegt solchen Entscheidungen zugrunde? Glaubt der Gesetzgeber wirklich, dass jemand mit 1.555 Euro heute ein „menschenwürdiges Leben“ führen kann? Oder glaubt er lediglich, dass jemand mit Schulden auch weiterhin ein bisschen leiden soll?

In Wahrheit wäre eine Reform notwendig, die sich nicht an Tabellen, sondern an Biografien orientiert. An gescheiterten Existenzen, an Krankheiten, Trennungen, Jobverlusten. An der Tatsache, dass in diesem Land mehr Menschen in der Schuldenfalle stecken als es Sand am Meer gibt. Und die Dunkelziffer? Wahrscheinlich noch höher. Es sind nicht die Lauten, die Glänzenden, sondern jene, die still geworden sind. Sie tauchen in keiner Statistik vollständig auf, doch sie stehen jeden Tag mit einem schweren Rucksack vor der Supermarktkasse, dem Vermieter, dem Leben. – und diese Menschen meist nicht aus Verschwendung, sondern aus Not, Krankheit, Scheidung, Jobverlust oder schlicht Pech dort hineingerutscht sind. Es geht um Millionen. Menschen, die funktionieren sollen, aber längst aus dem Takt gefallen sind. Menschen, denen nicht mit Belehrung, sondern mit Befreiung geholfen werden muss.

Es braucht Lösungen, wie beispielsweise ein Insolvenzrecht, das Menschen befreit. Ohne Zampano, ohne teure Verfahren, ohne Moralpädagogik. Wer sagt: „Ich habe Schulden“ – und nie zuvor eine Privatinsolvenz durchlaufen hat – soll innerhalb eines Jahres entschuldet werden können. Punkt.

In dieser sogenannten Verwaltungsphase übernimmt ein Insolvenzverwalter die Aufsicht. Geprüft wird nur, ob es Einnahmen gibt, aus denen zumindest die Verwaltungsgebühren gedeckt werden können. Wenn nicht, gilt: Sozialleistungen, Armutsgrenze, keine Regresspflicht. Nur ein kleiner Sockelbetrag, symbolisch fast, wäre zu zahlen. Danach: Freispruch. Der Mensch darf neu beginnen.

Die Wirtschaft würde profitieren. Millionen könnten wieder am Wirtschaftsleben teilnehmen. Mieten zahlen, einkaufen, Verträge abschließen, Steuern zahlen. Man könnte fast sagen: Es wäre ein Konjunkturpaket für die Seele. Doch natürlich: Wer danach wieder Schulden macht, hat ein echtes Problem. Die neue Entschuldungsgarantie soll ein einmaliger Neustart sein. Kein Spielautomat, sondern ein Rettungsboot.

Mut zur politischen Antwort?

Die Politik hat die Pfändungsfreigrenzen angepasst, brav nach Paragraph und Prozent. Doch nüchtern betrachtet reicht das nicht. Es braucht Mut – nicht nur für Gendersternchen und Klimagipfel, sondern auch für jene, die im Schatten der Mahnungen, der Gerichtsvollzieher, der unbeantworteten Briefe leben. Wir brauchen ein Entschuldungsrecht, das Menschen nicht erzieht, sondern erlöst. Das sie nicht misst an ihrer Zahlungsfähigkeit, sondern an ihrer Fähigkeit wieder auferstehen zu können. Neue Ziele haben zu dürfen, neue Perspektiven. Denn: Höhere Pfändungsfreigrenzen allein reichen nicht. Sie sind ein Pflaster für eine offene Wunde. Ein mäßiger Trost für einen Systemfehler. Denn in einer Gesellschaft, in der selbst das Überleben Geld kostet, ist jede Pfändung eine Prüfung des Gewissens.

Ein Jahr Verhaltensphase statt sieben Jahre Scham und Papierkrieg – das wäre ein deutliches Signal. Ein Zeichen an Millionen, dass dieser Staat bereit ist, Neustarts zu ermöglichen, nicht nur Mahnbescheide zu drucken. Ein Jahr, das Mut macht statt Angst zu schüren.

Wenn man sich so massiv gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aufstellt, sollte man wenigstens dafür sorgen, dass auch die eigenen Lobbyisten wieder partizipieren können – an einem System, das sozial erklärt und einem Menschen in der Bundesrepublik Deutschland die Chance gibt, eine Art finanziellen Freispruch zu erhalten. Das ist nicht nur förderlich für diesen Menschen, das ist auch förderlich für das Gesundheitssystem. Denn Schulden sind nachweislich eine gesundheitliche Belastung, führen zu psychischen Störungen. Das Geld, das man dafür spart, Kranke zu behandeln, könnte hier komplett eingespart werden – und ist an anderer Stelle sicherlich viel mehr benötigt.

Der Arbeitsmarkt profitiert ebenfalls davon. Wenn Menschen krank sind vor Schulden, wenn Menschen sich der Arbeit verweigern, weil es sich nicht mehr lohnt, zur Arbeit zu gehen – weil alles weggepfändet wird – dann hat das auch Auswirkungen auf das bundesdeutsche Sozialsystem. Sagte nicht der designierte Kanzler: „Arbeit soll sich wieder lohnen?“ Hier muss die Politik endlich mal aufwachen. Und auch die Regierung Merz hätte jetzt die Chance, Deutschland nachhaltig aus dem schwarzen Loch zu führen.

ⓘ Verschuldung in Deutschland – Fakten und Debatte

Zahl der Überschuldeten:
Laut dem SchuldnerAtlas Deutschland 2023 von Creditreform gelten 6,15 Millionen Menschen in Deutschland als überschuldet. Das entspricht rund 8,4 % der Erwachsenenbevölkerung.

Definition Überschuldung:
Eine Person gilt als überschuldet, wenn sie dauerhaft ihre laufenden Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen kann – auch bei Sparmaßnahmen.

Dunkelziffer:
Fachleute gehen von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus:
Schätzungen zufolge könnten bis zu 8 Millionen Menschen betroffen sein – viele suchen aus Scham oder Unwissenheit keine Hilfe. Besonders Alleinerziehende, Geringverdiener und junge Erwachsene sind gefährdet.

Politische Lösungsansätze bisher:

  • Entbürokratisierung der Schuldnerberatung: Viele Angebote sind überlastet oder schwer zugänglich.
  • Pfändungsschutzkonto (P-Konto): Reformen sollen den Schutz erleichtern und mehr finanzielle Luft lassen.
  • Konsumregulierung & Schulbildung: Forderung nach mehr Finanzbildung in Schulen, z. B. als Pflichtfach.
  • Reform des Insolvenzrechts: Eine schnellere Entschuldung nach drei Jahren wurde bereits eingeführt, ist aber nur ein Baustein.
  • Armutsbekämpfung: Sozialverbände fordern höhere Grundsicherung und Wohnkostenzuschüsse, um Schuldenprävention zu ermöglichen.

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