Streamingdienste konnten sich in Europa etablieren – mit guter Infrastruktur, akzeptablen Preisen und massentauglichem Angebot. In vielen anderen Teilen der Welt war das nie der Fall: Zu teuer, zu instabil, zu beschränkt. Während also hier Serien zum Alltag gehörten, blieb Streaming andernorts eine Randerscheinung für wenige. Heute gerät auch dieses europäische Modell ins Wanken – durch steigende Preise, Abo-Zersplitterung und die Rückkehr der Piraterie.
Die Streamingwelt, einst als Befreiung gefeiert, ist müde geworden. Ermattet von der Gier ihrer eigenen Anbieter, zersplittert in Dutzende Einzelabos, die kaum noch jemand überblickt, geschweige denn bezahlt. Was einst mit einem Versprechen begann – Zugang für alle, günstig, legal, bequem – endet zunehmend in einem Gefühl der Überforderung. Und: in der Rückkehr der Piraterie.
Sie war nie ganz weg. Aber sie war still. Eine Zeit lang wirkte es, als hätte man sie besiegt: mit Netflix für 4,99 Euro, mit Spotify ohne Werbung, mit dem Argument, dass Fairness bezahlbar sei. Doch die Geschichte nahm eine andere Wendung. Abo-Preise stiegen, Inhalte verschwanden, neue Anbieter schossen aus dem Boden wie Pilze nach dem Regen, jeder mit eigenen Exklusivrechten, jeder mit eigenem Bezahlsystem. Und die Nutzer? Zahlen heute im Schnitt bis zu 70 Euro im Monat – allein für Medienkonsum. Das ist kein Taschengeld mehr. Das ist eine Monatsrechnung.
Die Fragmentierung des Streaming-Alltags
Früher war das alles sehr günstig. Alle buchten um uns herum, Netflix war ein Paradies für ein paar Euro im Monat. Das goldene Zeitalter des Streamings hatte begonnen – bequem, preiswert, zugänglich. Doch dann kam die Gier. Die Konkurrenz liegt heute nicht im Inhalt, sondern im Service. Die Musikdienste haben es vorgemacht, jetzt ziehen die Videoplattformen nach. Plötzlich sind alle meine Filme nicht mehr an einem Ort – sondern verteilt über zwanzig, dreißig Anbieter. Jeder will deine Aufmerksamkeit. Und vor allem: dein Geld.
Aus einem Abo wurden fünf. Ein Streaming-Labyrinth entsteht. How I Met Your Mother ist heute kaum noch auffindbar. Der Überblick ist verloren gegangen. Einen bestimmten Film zu finden, ist Arbeit. Man braucht Google. Man braucht ein VPN. Und manchmal sogar Geduld. Die Qualität? 4K kostet extra. 8K ist kaum verfügbar – und noch teurer. Die meisten Nutzer laufen ohnehin auf 720p. Die Piraten dagegen? Die liefern Blu-ray-Qualität. Mit Dutzenden Sprachfassungen, Untertiteln und Zugriff auf alles. Ohne Geoblocking.
Viele Plattformen versprechen 1080p – aber nur, wenn man ihre App nutzt. Die Apps sind vorinstalliert, auf Smart-TVs, auf Smartphones. Und mit ihnen kommt das nächste Problem: Datensammelei. In den AGBs steht es, ganz hinten. Sobald du die App nutzt, beginnt das Tracking. Ohne echte Alternative. Früher bot Netflix vier parallele Streams. Die ganze Familie konnte schauen, auch über verschiedene IP-Adressen hinweg. Heute wird Account-Sharing kriminalisiert. Die Anbieter gehen davon aus, dass du betrügst – und bauen ihr Geschäftsmodell darauf auf, es dir möglichst teuer zu machen.
Mehr Geld, weniger Inhalte, weniger Freiheit. Wer heute mehr zahlt, bekommt weniger. Selbst das Versprochene wird gekürzt – oder gar nicht geliefert.
Die dunkle Seite der Macht – ganz legal ist das nicht, aber verständlich
In der Vergangenheit mussten sich Piraten noch mit Kinovorführern verbünden, um heimlich einen Film abzufilmen. Heute braucht es das nicht mehr. Die Technik ist effizienter geworden, die Verbreitung einfacher – und die Motivation größer. Allein in Deutschland wird die Zahl der Nutzer sogenannter illegaler Streaming-Angebote inzwischen auf rund fünf Millionen geschätzt. Fünf Millionen Menschen, die sich auf die dunkle Seite der Macht begeben haben – nicht aus krimineller Energie, sondern aus Frust und Pragmatismus.
Das Zauberwort heißt heute IPTV. Und damit ist nicht das Fernsehen gemeint, das einem die Telekom aufdrängt, sondern spezialisierte Anbieter mit Sonderkanälen, bei denen neue Filme in einer Qualität laufen, die verblüfft. Kein Ruckeln, kein Pixelbrei. Einfach: verfügbar. Für kleines Geld – und ohne regionale Sperren.
Was früher die Ausnahme war, ist heute strukturiert. Die modernen Piraten betreiben ihre Dienste mit professioneller Oberfläche, Kundensupport per Telegram und Preisstaffeln wie im E-Commerce. Das Geschäftsmodell? Illegal. Die Nachfrage? Verständlich.
Global gedacht – lokal gesperrt
Streaminganbieter sprechen gern von weltweitem Zugang, doch die Realität sieht anders aus. In vielen Ländern dieser Welt – besonders in Teilen Afrikas, Südamerikas oder Südasiens – scheitert Streaming nicht am Wunsch der Menschen, sondern an der Zahlungsinfrastruktur. Keine Visa-Karte, kein PayPal, kein Bankkonto – kein Zugang. Zwei Drittel der Weltbevölkerung leben in Regionen, in denen moderne Zahlungsdienste entweder nicht vorhanden oder nicht stabil genug sind. Wer dort Filme sehen will, hat oft keine legale Möglichkeit. Denn die Anbieter beschränken ihr Angebot nicht nur durch Geoblocking, sondern auch durch Zahlungsbarrieren, die ganze Kontinente ausschließen.
Während man in Europa mit einem Klick ein Abo abschließt, braucht man anderswo einen Trick, einen Umweg oder eine alternative Plattform. Und genau dort entstehen die Schattenmärkte: mit Kryptowährungen, Guthabenkarten oder Community-Zahlungen. Nicht aus Bosheit – sondern weil die offiziellen Wege ihnen verschlossen bleiben. Die globalen Anbieter verschlafen das. Sie sprechen von Märkten – und schließen Menschen aus. Dabei könnten gerade sie es sein, die kulturelle Teilhabe wirklich global ermöglichen. Stattdessen liefern sie das perfekte Argument für all jene, die sich auf inoffiziellen Wegen holen, was ihnen sonst verwehrt bleibt. Und wenn ein Teenager aus Lagos oder Guangzhou es schafft, sich Zugriff auf sämtliche Filme zu verschaffen – wieso sollten dann ausgerechnet wir Europäer brav bleiben?
Piraterie lässt sich nicht verbieten – nur überholen
Es gibt ein Zitat von Gabe Newell, Mitgründer von Valve und Kopf hinter der Gaming-Plattform Steam, das in seiner Schlichtheit alles sagt:
„Piraterie ist kein Preisproblem. Es ist ein Serviceproblem.“
– Gabe Newell, Mitgründer von Valve/Steam
Als man begann, Spiele in Russland zeitgleich mit der westlichen Welt zu veröffentlichen – zu fairen Preisen, ohne künstliche Verzögerungen, ohne Geoblocking – verschwand die dortige Spielepiraterie über Nacht. Die Leute wollten nicht stehlen. Sie wollten einfach nur mitmachen. Steam beweist bis heute, wie es geht: Weltweite Verfügbarkeit, einfache Bezahlung, keine Gängelung. Und ja – auch Streaming, denn Spiele werden längst nicht mehr nur heruntergeladen, sondern auch direkt gestreamt.
Wer ein gutes Angebot macht, gewinnt. Wer Mauern baut, verliert. Eigentlich ganz einfach – wenn man zuhören würde.
ⓘ Streamingdienste werben mit Vielfalt, doch viele Inhalte sind fragmentiert. Wer alles sehen oder hören will, benötigt mehrere Abos gleichzeitig. Die Kosten summieren sich schnell auf 60 bis 80 Euro im Monat. Hier einige offizielle Anbieter: Netflix, Amazon Prime Video, Disney+, Apple TV+, Sky/WOW, Paramount+, Spotify, Deezer, Tidal, YouTube Music
Quellen-Nachweis
https://netzpolitik.org/2023/piraterie-ist-zurueck-warum-streaming-nutzer-abwandern/
https://www.spiegel.de/netzwelt/netflix-preise-streaming-wird-teurer-warum-die-abos-kuendigen-a-1d8a3aeb-0001-0001-0000-000000000000
https://www.statista.com/chart/31440/streaming-service-subscriptions-per-person/
https://www.heise.de/news/Streaming-Abos-boomen-aber-Piraterie-kehrt-zurueck-9347281.html
https://www.golem.de/news/illegales-streaming-warum-sich-piraterie-wieder-lohnt-2403-182611.html