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Struktur im Verfall – Kollagen und seine Wirkung

von Thomas Wendtland
Eine minimalistisch inszenierte Tasse schwarzer Kaffee steht auf einem hellen Hintergrund. Daneben liegt ein Löffel, der an das morgendliche Ritual erinnert. Das Motiv greift den aktuellen Trend auf, Kollagenpulver mit Kaffee zu kombinieren – visuell schlicht, inhaltlich komplex.

Immer häufiger lesen wir in sozialen Netzwerken und Influencer-Postings vom schnellen Wunderkoffein in Kombination mit Cola – dem sogenannten ‚Glow Coffee‘, dessen Begriff übrigens recht zügig auch als Marke eingetragen wurde. Wir haben das Thema aufgegriffen, recherchiert und uns ein eigenes Bild gemacht.

Kollagen: das meistverbreitete Strukturprotein im Tierreich – es macht 25–35 % des Gesamteiweißes in Säugetieren aus, ist das Rückgrat von Haut, Knochen, Knorpel, Sehnen und Bindegewebe. Seine berühmte Triple-Helix-Struktur definiert den Begriff „fest und flexibel zugleich“. Vitamin C ist das entscheidende Schmiermittel bei der Herstellung – ohne es stockt die Kollagensynthese, und berühmte Skorbut-Geschichten lehren uns das drastischst.

Es gibt mindestens 28 Typen – Typ I in Haut und Knochen, Typ II im Knorpel, Typ III in Gefäßen, die übrigen in Organen und speziellen Strukturen. Industriell nutzen wir hydrolysiertes Kollagen (auch Kollagen-Peptide genannt): enzymatisch zerlegt, wasserlöslich, schnell resorbierbar, mit hoher Bioverfügbarkeit – ideal für Nahrungsergänzung. Im Körper wird es zu Aminosäuren und Peptiden abgebaut – ein Einstieg wie in die Zutat „Eiweiß“, aber mit dem Designprinzip eines Bausteinsatzes für Hautmatrix und Bindegewebsstrukturen.

Klinische Studien machen Mut: Bei täglicher Einnahme von 2,5–10 g Hydrolysat über 6–12 Wochen lassen sich Hautelastizität und Feuchtigkeit messbar steigern; Gelenkfunktion und Schmerzen bessern sich; Nagelwachstum profitiert. Doch der wissenschaftliche Konsens mahnt Zurückhaltung – die EU erkennt keine zugelassenen Gesundheitswirkungen an, Prüfungen fehlen oder sind industrieunabhängig nur teilweise belastbar. Stiftung Warentest etwa hält anonymisierte „Schönheitsdrinks“ eher für Placebos mit homöopathischer Wirkung.

Glow Coffee – heißer Hype, milde Wirkung

Ja, „Glow Coffee“ ist ein Trend. Und ja, er wird von Influencerinnen und Fitnessikonen beworben, als sei er der Jungbrunnen to go. Ein Löffel Kollagenpulver im Kaffee, ein Schluck, ein Selfie – und plötzlich ist die Haut straffer, der Blick klarer, das Leben ein Filter. Doch wer genauer hinschaut – auch mit milderen Augen – erkennt rasch: So funktioniert der Körper nicht.

Was auf Instagram versprochen wird, ist oft eine Überhöhung, ein Zusammenspiel aus Algorithmen, Hoffnung und Werbekooperationen. Natürlich kann Kollagen im Kaffee konsumiert werden. Und selbstverständlich kann es Teil einer gesunden Routine sein. Aber die rasche Verwandlung zur makellosen Haut, wie sie viral durch Reels geistert, ist nichts weiter als ein Bild – nicht die Bilanz einer realen Stoffwechselkette.

Wer glaubt, mit ein paar Löffeln Pulver im Kaffee täglich sichtbar jünger zu werden, unterschätzt die Langsamkeit biologischer Prozesse – und überschätzt die Wirkung von Content Marketing. Glow entsteht nicht durch Pulver, sondern durch Geduld, Lebensweise und oft auch durch wochenlanges Training.

Denn Selbstoptimierung – so populär der Begriff sein mag – ist kein Sofortprogramm. Sie lässt sich nicht per Mausklick im Online-Shop kaufen, nicht per Abo bestellen und nicht im Thermobecher mitnehmen. Selbstoptimierung bedeutet Arbeit. Sie bedeutet Training, Rückschläge, Umwege, Verzicht. Und sie braucht vor allem eines: Zeit. Wer seinem Körper wirklich etwas Gutes tun will, der muss bereit sein, mit ihm zu arbeiten – nicht nur ihn zu konsumieren.

Der Hype um Kollagenkaffee ist dabei vielleicht nicht schädlich, aber symptomatisch: für eine Gesellschaft, die lieber bestellt als sich entwickelt. Schönheit, Gesundheit, Leistungsfähigkeit – all das entsteht nicht durch Beigabe, sondern durch Beharrlichkeit.

Vom Ursprung der Schönheit – Schlachtabfälle mit Struktur

Wer Kollagen konsumiert, sollte wissen, woraus es besteht – nicht um zu schockieren, sondern um ehrlich zu bleiben. Auch wenn das Pulver geschmacklos, weiß und sauber in Designer-Dosen daherkommt, ist seine Herkunft handfest: Kollagen wird überwiegend aus tierischen Reststoffen gewonnen – aus Haut, Knochen, Knorpel und Bindegewebe von Rindern, Schweinen oder Fischen. Was in der Fleischverarbeitung übrig bleibt, wird nicht entsorgt, sondern weiterverwertet – unter streng hygienischen Bedingungen, enzymatisch zerlegt, mikrobiologisch geprüft, industriell verarbeitet. Das Resultat ist ein hochreines Eiweißprodukt – aber sein Ursprung bleibt tierisch.

Allerdings: Es gibt Alternativen. Besonders marines Kollagen, gewonnen aus Fischhaut oder -schuppen, erfreut sich wachsender Beliebtheit – nicht nur wegen seiner hohen Bioverfügbarkeit, sondern auch, weil es weniger kulturelle oder religiöse Vorbehalte provoziert. Und auch erste biotechnologische Ansätze, etwa aus Algen oder Hefen, arbeiten an einer veganen Kollagen-Nachbildung – bislang jedoch ohne die gleiche molekulare Identität oder klinische Wirkung. Der Markt bewegt sich – doch der Ursprung bleibt meist tierisch.

Infokasten
Kollagen ist das wichtigste Strukturprotein im menschlichen Körper. Es sorgt für Festigkeit in Haut, Bindegewebe, Knochen und Knorpel. Am häufigsten wird hydrolysiertes Kollagen als Pulver eingenommen – es gilt als gut verträglich und wird vom Körper schnell aufgenommen. Doch Wunder sind nicht zu erwarten: Die Wirkung setzt nicht nach drei Pillen ein. Studien zeigen erste messbare Effekte frühestens nach 6 bis 12 Wochen – nachhaltige Resultate erfordern Geduld, oft über mehrere Monate hinweg. Kollagen ist kein Instantfilter, sondern eher ein Langzeitvertrag mit dem Bindegewebe.

🔍 Quellen-Nachweis
[1] Healthline: Does Coffee Destroy Collagen? (2023)
[2] PubMed: Effects of Hydrolyzed Collagen Supplementation on Skin Aging – J Cosmet Dermatol (2021)
[3] NCBI: Caffeine inhibits collagen biosynthesis in human skin fibroblasts – Cell Biology Int. (2008)
[4] Stiftung Warentest: Kollagenprodukte – teuer, aber (fast) wirkungslos (2022)
[5] European Food Safety Authority (EFSA): Health claims on collagen and skin – Scientific Opinion (2020)
[6] Medical News Today: Collagen supplements – types, sources, and uses
[7] Nutrients (MDPI): Oral Collagen Supplementation and Skin Health – Review (2021)
[8] Harvard Health Blog: The Collagen Craze – does it work?
[9] Examine.com: Collagen – What does the research say?
[10] Verbraucherzentrale.de: Kollagen im Kaffee – sinnvoll oder nicht? (2023)

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