Home GesellschaftGesellschaft & TourismusSurfen am Wulfener Hals ist tot

Surfen am Wulfener Hals ist tot

von Carsten Bornhöft
Großer Stein blockiert die Zufahrt zu einer Wiese am Wasser, daneben ein Verbotsschild mit Hinweis auf Naturschutz, im Hintergrund Windräder und Wasserfläche.

Es ist ein milder Sommerabend, irgendwo zwischen den warmen Böen der Lübecker Bucht und dem rauen Salzgeschmack auf den Lippen, wenn die Surfer am Wulfener Hals ankommen.

Das Wasser lockt, der Wind ruft. Es ist dieser ganz eigene Pulsschlag, der den Surfer antreibt, nicht auf eine Welle, sondern auf den Wind zu warten, der aus Osten über den Wulfener Hals zieht und bei guter Segelstellung in Vortrieb verwandelt wird — in einen Speed, der süchtig macht. Man wird vom Segel gezogen, im Einklang mit der Natur, mit Kraft und Risiko, so wie Generationen vor ihm, deren Freiheit weniger aus dem Portemonnaie kam als aus einem ehrlichen Lebensgefühl.

Doch diese Freiheit, die so lange ungeschrieben galt, scheint nicht mehr willkommen zu sein. Wo früher eine Surferwiese lag, eine simple Fläche, die jeder kannte, jeder respektierte, jeder nutzte, ohne gleich etwas in Besitz zu nehmen, steht nun ein grauer, granitartiger Stein. Er blockiert nicht nur die Einfahrt, sondern markiert ein Ende. Das Ende einer Kultur, möchte man fast sagen, oder jedenfalls den Anfang ihres Verdrängens. Ein Hinweisschild gibt vor, den Naturschutz zu retten. Ein Schild, das wie eine bürokratische Bannkeule wirkt, die Surfer, Camper und all jene, die es lieben, mit wenig Aufwand viel Leben zu spüren, von hier vertrieben werden sollen.

Kurios daran: Nur drei Meter weiter dürfen Wohnmobile noch stehen. Drei Meter Luftlinie reichen offenbar aus, dass der Naturschutz sich wieder beruhigt. Dort nämlich, auf einem privaten Grundstück, wird nach wie vor fröhlich gecampt. Wer zahlt, darf bleiben. Wer es sich leisten kann, wird nicht an den Pranger gestellt.

Und so stehen sie da, die Hang-Loose-Generation, wie man sie gerne belächelnd nennt — jene, die Freiheit darin finden, dass sie in einer Brise Wind, einem frisch gezapften Bier und einem heißen Grillwürstchen am Abend besteht. Die, die nach einem Big Day mit brennenden Armen und salziger Haut einfach nur in den Schlaf kippen wollen, nicht im teuren Hotelzimmer, sondern in ihren rollenden mobilen Refugien, die mehr aus Segelmast, Surfboards und ein wenig Platz für eine Luftmatratze besteht als aus Komfort und Status.

Doch diese Geschichten passen nicht mehr ins Bild. Ein Bild, das nun von einem Golf ´n Wave- und Resorthotel dominiert wird, mit Zimmerpreisen, die locker die 200-Euro-Grenze durchbrechen und einem Marketing, das sich anmaßend der Surfersprache bedient: „Freiheit“, „Wellen“, „Abenteuer“ – schöne Worte, verdreht, eingepackt in Hochglanzprospekte, die genau jenen ansprechen sollen, die nie in der Morgendämmerung ihr Segel flickten oder mit Salzwasser strapazierten Fingern die Finne austauschten, sondern ihr Surfgefühl lieber als Wochenend-Abenteuer kaufen.

Vom Lagerfeuer zum Aphorismus

Was dort passiert, ist mehr als eine Frage von Übernachten oder Nichtübernachten. Es ist ein Kulturverlust. Ein Verlust dessen, was Fehmarn einmal ausmachte – ein Platz für alle, ob aus Köln, Hamburg oder Dänemark, die sich am Lagerfeuer versammelten, Hunde frei herumlaufen ließen, Kinder konnten im seichten Wasser spielen, während Papa oder Mama der Sucht nach Speed frönten. Jeder passte auf den anderen auf, half mit, achtete darauf, dass der Tag nicht in einer Katastrophe endete. Man begegnete sich wie in einer natürlichen Nachbarschaft, in der jeder seinen Platz fand, ohne dass es Regeln brauchte, außer Respekt und ein wenig gesunden Menschenverstand. Das alles wird zerstört — im Namen von Veredelung, Gentrifizierung und der Gier nach Monetarisierung und maximaler Wertschöpfung.

Natürlich, der Bürgermeister wird mit ernstem Gesicht sagen, dass man sich an Gesetze halten muss. Dass es Naturschutzgebiete gibt, die geschützt werden müssen. Diese Argumentation zieht immer, wenn es darum geht, unliebsame Gäste loszuwerden. Sie zieht, weil kaum jemand ernsthaft gegen den Schutz der Natur argumentieren wird – das wäre töricht. Auch Surfer lieben Natur. Sie achten auf sie, sie sind mittendrin.

Viele der Surfer haben verletzte Vögel gerettet, Jungtiere zum Tierarzt gebracht, Fischernetze aus dem Binnenteich gefischt, nicht weil sie müssen, sondern weil es selbstverständlich ist. Die gleiche Natur, die sie trägt, verteidigen die Wassersportler, seit diese das erste Mal eine Wasserstarttechnik gelernt haben.

Doch darum geht es hier nicht wirklich. Es geht darum, dass nebenan ein Hotel entstanden ist, ein Golfplatz, ein in Schönsprache getauchter Betonklotz in Holzoptik, der dem Massengeld eine Heimat bietet. Und für dieses Geld wird Platz geschaffen. Nicht für den Surfer von nebenan, sondern für den Gast, der mit Kreditkarte anreist, der Zimmer bucht, der Wertschöpfung bringt.

Das hat nichts mit Naturschutz zu tun. Das ist Veredelung, Gentrifizierung, Schönfärberei. Ein Tritt gegen die Wurzeln einer Kultur, die nie laut war, nie überheblich, aber eben auch nie besonders zahlungskräftig. Und vielleicht genau deswegen jetzt gehen muss.

Big Days sterben leise

Viele haben diese Big Days noch erlebt. Tage, an denen du in aller Herrgottsfrühe aufwachtest, weil der Wind durchs Dach deines Campers pfiff, an denen die ersten Segel schon auf dem Wasser waren, noch bevor der Kaffee richtig durchgelaufen war. Tage, an denen man wusste, dass man abends kaum noch Kraft haben würdes, auch nur eine Frikadelle auf dem Grill zu wenden.

Man hat sich arrangiert, über Jahre, stillschweigend, fair. Wer die Nacht wirklich dort verbrachte, zahlte 35 Euro, wer vor 22 Uhr weg war, musste nichts bezahlen, allerdings mit der Option um 23:00 Uhr wieder da zu sein, sich hinzulegen und für den nächsten Big One zu regenerieren. Eine Regelung, die funktionierte, wie ein Handschlagvertrag zwischen Freigeistern und einem eher gutmütigen Parkwächter, der die Szene kannte und wusste, wie wertvoll diese Leute für die Atmosphäre Fehmarns waren.

Heute ist das alles fort. Heute musst du dein Board über eine Straße schleppen, dein Segel dort ablegen, weil du nicht mehr dicht ans Wasser darfst. Heute darfst du dort nicht mehr schlafen, weil ein Schild es verbietet. Heute stehst du, wenn du nicht den regulären Campingplatz willst, am besten gleich gar nicht mehr hier. Wie es an den anderen Spots von Fehmarn derzeit aussieht, können wir hier kaum umfassend beleuchten. Doch es ist zu erwarten, dass durch diese Camperverbots-Naturschutznummer vieles verloren geht, was Fehmarn eigentlich ausmacht: Freiheit, Salz im Wind, ein Stück Ungezwungenheit, das nun Stück für Stück verschwindet.

Und es tut weh, das zu sehen. Nicht, weil Surfer keine 200 Euro für ein Hotelzimmer hätten, sondern weil sie nicht für diesen Ort bezahlen wollen. Man will kein Golf-Ressort mit „Hang-Loose“-Sprüchen, das jeden Surfspirit auf Hochglanz poliert, bis er glänzt wie die Schuhspitzen des Hoteldirektors. Man will diesen Spirit selbst leben, nicht buchen. Und schon gar nicht möchte man in dieser tattergreisen Golferkiste gefangen sein — das begreifen die Investoren nicht, weil sie dieses Hang-Loose-Gefühl niemals auch nur annähernd erahnen können.

Schleswig-Holstein hat viele gute Spots, so viele, dass Fehmarn nicht einmal zwingend gebraucht würde. Aber Fehmarn hat eben auch diese Seele gehabt, dieses Ungezwungene, das jetzt beerdigt wird unter Beton und Marketingsprech.

Das alles kaputt zu machen unter dem Deckmantel des Naturschutzes ist an Zynismus kaum zu überbieten. Es wird Flächen versiegelt, es wird ein Golfplatz betrieben, bei dem im Ernst niemand auf Weltklasseniveau spielt, sondern eher ein wenig den Ruhestand versüßt. Ein Kurs, langweilig wie ein Seniorenbingo, aber akribisch gepflegt, damit bloß kein Unkraut wächst — und bei dem Natürlichkeit erst dann als solche gilt, wenn die Pflanzen akkurat gerade wachsen und artig in Reih und Glied stehen.

Die Golfer dürfen bleiben, der Surfer-Pöbel auf der Surferwiese nicht. Volle Zimmer sind willkommen, die Vans und Autos nicht.

Doch was ich ihm mit aller Klarheit — als Journalist und als Surfer — abspreche, ist jenes echte Surf-Feeling, wie wir es einst lebten: dieses Hang-Loose-Gefühl, das Schweinebucht-Flair vom Gardasee, das sich bis an die Surfspots in Deutschland übertragen hat. Dieses Lebensgefühl, das aus Freiheit, Improvisation und Gemeinschaft bestand, nicht aus Marketingphrasen.

Es sind diese Brüche, die wütend machen. Fehmarn wird niemals Sylt werden, ganz gleich, ob man es unter dem Deckmantel des Naturschutzes oder ganz offen versucht. Fehmarn ist Ostholstein in Reinkultur — und das wird sich auch wieder durchsetzen, irgendwann, wenn Politiker wieder lernen, Menschen und die sozialen Gefüge ihrer Gemeinschaften zu erkennen und wertzuschätzen.

ⓘ Der Wulfener Hals auf Fehmarn ist ein bekanntes Wassersportrevier mit langer Surftradition. Die vorgelagerte Bucht bietet konstanten Wind aus Ost bis Südost und flaches Wasser, was sie besonders für Windsurfer und Kitesurfer attraktiv macht. Früher erlaubte eine angrenzende Wiese auch das Übernachten im Camper, was heute durch neue Auflagen und ein Golfresort stark eingeschränkt wurde.

Quellen-Nachweis
Foto: Carsten Bornhöft
Recherche: Redaktion Sport & Nachrichten
Videoquelle: YouTube-Kanal der örtlichen Surfschule

Jeden Samstag frisch im Postfach

Der Yivee-Newsletter liefert dir kluge Gedanken, spannende Artikel und exklusive Einblicke. Kostenlos. Ehrlich. Lesenswert.

Diskutieren Sie mit