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Unsichtbare Spuren auf Asphalt – Mikroplastik

von Thomas Wendtland
Nahaufnahme eines Autoreifens mit deutlichem Profil, Symbol für Straßenhaftung und Reifenabrieb.

Jeder Reifen, der rollt, verliert winzige Teile von sich. Ein unsichtbarer Staub aus Gummi, Ruß und chemischen Zusätzen löst sich vom Profil, mischt sich mit Staub, Feuchtigkeit und Abgasen und wird schließlich vom Wind verweht. Auf den ersten Blick harmlos, auf den zweiten ein ernstzunehmendes Umweltproblem.

Wie ein Reifen sich selbst verbraucht

Reifenabrieb ist die logische Folge von Reibung. Wenn Gummi auf Asphalt trifft, sorgt die Reibung für Haftung, für Sicherheit in Kurven, für Bremskraft. Doch jede Kurve, jeder Start, jede Vollbremsung schabt winzige Partikel aus der Lauffläche. Selbst bei gemächlicher Fahrt verliert ein durchschnittlicher Reifen laut Umweltbundesamt mehrere Milligramm pro Kilometer. Hochgerechnet auf Millionen Fahrzeuge bedeutet das: Allein in Deutschland werden jährlich zehntausende Tonnen Mikroplastik durch Reifenabrieb freigesetzt.

Die Chemie hinter dieser schwarzen Spur ist kompliziert. Ein Autoreifen ist längst kein Naturprodukt mehr, sondern ein Hightech-Mix aus synthetischem Kautschuk, Weichmachern, Ruß, Harzen und Stahl- oder Textilfasern. Alles, was sich vom Reifen löst, gelangt in die Umwelt. Auf der Straße entsteht dabei ein Cocktail, der schwerer zu fassen ist als Abgase – unsichtbar, geruchlos, aber allgegenwärtig.

Die Reifenhersteller mauern, wenn es darum geht, offenzulegen, aus welchen Bestandteilen Autoreifen bestehen. Diese Mischungen gelten als streng gehütetes Geheimnis, und selbst auf direkte Anfragen erhält man kaum oder gar keine Auskunft.

Vom Asphalt in die Umwelt

Die meisten Partikel landen nicht auf der Straße, sondern in ihrer Umgebung. Regen spült sie in die Kanalisation, in Flüsse und letztlich ins Meer. Ein Teil bleibt im Boden hängen, ein anderer wird vom Wind verweht. Besonders perfide: Ein erheblicher Anteil der Mikroplastikbelastung in Städten stammt nicht von Plastikflaschen oder Verpackungen, sondern von Reifen.

Und weil diese Partikel so klein sind, verschwinden sie nicht einfach. Sie lagern sich in Sedimenten ab, werden von Tieren aufgenommen oder gelangen über Umwege zurück in die Nahrungskette. Studien zeigen, dass selbst in entlegenen Regionen Mikroplastik gefunden wird – und ein Teil davon trägt die Signatur von Reifenabrieb.

Unsichtbare Gesundheitsgefahr

Für den Menschen ist das Thema bislang ein blinder Fleck. Anders als Abgase, die sichtbar qualmen oder stinken können, bleibt Reifenabrieb unter der Wahrnehmungsschwelle. Dennoch können die feinen Partikel in die Atemwege gelangen. Besonders der Staub aus städtischem Verkehr enthält oft Mischungen aus Gummi, Bremsabrieb und Straßenstaub.

Forscher vermuten, dass dieser Mix langfristig die gleichen Risiken birgt wie Feinstaub aus Verbrennungsmotoren: Entzündungen in der Lunge, Herz-Kreislauf-Probleme und möglicherweise Krebsrisiken. Doch weil die Partikel chemisch komplex sind, gibt es bisher keine klare gesetzliche Einstufung. Reifenabrieb ist damit ein Umwelt- und Gesundheitsproblem ohne richtiges Gesicht.

Elektromobilität – Lösung oder Verschärfung?

Wer jetzt glaubt, dass die Umstellung auf Elektroautos die Lage entschärft, täuscht sich. Elektrofahrzeuge stoßen zwar kein CO₂ aus, wiegen aber oft mehr als ihre Verbrenner-Pendants. Mehr Gewicht bedeutet mehr Druck auf die Reifen – und damit mehr Abrieb. Studien gehen davon aus, dass bei gleichem Fahrstil Elektroautos eher mehr Mikroplastik durch Reifen verlieren als konventionelle Fahrzeuge.

Das eigentliche Problem ist also nicht nur der Antrieb, sondern das System Auto selbst. Solange wir immer größere und schwerere Fahrzeuge durch die Städte bewegen, wird sich am Reifenabrieb wenig ändern.

Technik gegen den Staub

Die Industrie experimentiert längst mit Gegenmaßnahmen. Neue Gummimischungen sollen langlebiger und abriebärmer sein. Sensoren könnten Fahrern künftig anzeigen, wie sehr ihr Fahrstil die Reifen belastet. Einige Start-ups arbeiten sogar an Reifenstaubsaugern, kleinen Auffangsystemen hinter den Radkästen, die die Partikel direkt absaugen sollen, bevor sie in die Umwelt gelangen.

Doch all diese Lösungen stehen am Anfang. Bis sie flächendeckend wirken, wird es Jahre dauern – und sie werden das Grundproblem nicht lösen: Reifen müssen sich abnutzen, sonst könnten sie keine Haftung aufbauen.

Die Verantwortung des Fahrers

Wer selbst etwas tun will, muss dort ansetzen, wo Abrieb entsteht – am Fahrstil. Vorausschauendes Fahren, sanftes Beschleunigen und rechtzeitiges Bremsen verlängern nicht nur die Lebensdauer der Reifen, sondern reduzieren auch den Mikroplastik-Ausstoß. Auch der Reifendruck spielt eine Rolle: Zu niedriger Druck erhöht den Verschleiß, zu hoher Druck verringert die Auflagefläche und kann die Sicherheit gefährden.

Wer weniger fährt, schont nicht nur seine Reifen, sondern auch die Umwelt. Gerade in Städten können kurze Wege zu Fuß oder mit dem Rad den unsichtbaren Staub verringern. Doch das setzt eine Haltung voraus, die wir im Alltag gern verdrängen: Jeder gefahrene Kilometer hinterlässt Spuren, auch wenn wir sie nicht sehen.

Ein Problem, das nicht verschwindet

Reifenabrieb ist kein spektakuläres Umweltproblem. Es gibt keine dramatischen Bilder von ölverschmierten Vögeln oder brennenden Müllbergen. Stattdessen passiert alles leise und unscheinbar, auf der Straße, die wir für selbstverständlich halten. Vielleicht ist gerade das die eigentliche Herausforderung: Ein Problem ernst zu nehmen, das wir nicht riechen, nicht hören und nicht sehen.

Die Reifenhersteller täten gut daran, frühzeitig für mehr Transparenz zu sorgen, bevor die Politik entsprechende Forderungen aufstellt. Hier prallen Firmengeheimnisse der Gummimischungen auf politische Interessen. Was wir brauchen, ist eine offene und ehrliche Diskussion darüber, wie wir Probleme lösen können, die letztlich uns selbst schaden – und das so, dass am Ende alle Beteiligten mitgehen können.

Wer sich damit beschäftigt, erkennt schnell, dass es hier nicht nur um Technik geht, sondern um Verantwortung. Verantwortung für das, was wir hinterlassen, während wir unterwegs sind – und für all die Spuren, die bleiben, wenn wir längst weitergefahren sind.

Reifenabrieb verursacht jährlich tausende Tonnen Mikroplastik. Die Partikel gelangen in Luft, Boden und Wasser, werden eingeatmet oder von Tieren aufgenommen. Fahrstil, Reifendruck und Fahrzeuggewicht beeinflussen die Menge entscheidend.

Quellen-Nachweis
Umweltbundesamt: https://www.umweltbundesamt.de/themen/reifenabrieb
Fraunhofer UMSICHT: https://www.umsicht.fraunhofer.de/de/presse-medien/2020/mikroplastik-reifenabrieb.html
Helmholtz-Zentrum Hereon: https://www.hereon.de/aktuelles/016993/index.php.de

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