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Verfassungsschutz: Stillhaltezusage

von Thomas Wendtland
Abgeordnete der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag im Gespräch. Im Vordergrund sitzt ein Mann mit geschlossenen Augen in einem blauen Anzug, dahinter beugt sich ein kahlköpfiger Mann zu einer blonden Frau im Hosenanzug nach vorn. Links sitzt ein weiterer Mann im Anzug mit dunkler Krawatte. Alle wirken konzentriert oder angespannt. Unten im Bild prangt in großer roter Schrift das Wort „VERDACHT!“.

Stillhaltezusage – ein Wort wie aus der Verwaltungshölle, aber von politischer Sprengkraft

Es ist ein Wort, das nach Bürokratie klingt, nach blauen Aktenordnern, Gummistempeln und halbdunklen Fluren in Ministerien: Stillhaltezusage. Doch hinter dieser so nüchtern daherkommenden Wendung verbirgt sich eine politische Entscheidung mit erheblicher Wucht. In der Auseinandersetzung zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und der AfD hat sich der Staatsschutz zur Zurückhaltung verpflichtet – zumindest vordergründig, zumindest temporär. Der Nachrichtendienst wird die AfD bis auf Weiteres nicht mehr als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ bezeichnen. Öffentlich jedenfalls nicht. Denn genau darum geht es: um Öffentlichkeit, um Deutungsmacht, um die Frage, wer sagt, was gesagt werden darf – und wann.

Was wie eine einvernehmliche Ruhepause klingen mag, ist in Wahrheit das Resultat eines juristischen Gefechts. Die AfD hatte sich gegen die Hochstufung durch das BfV gewehrt, wollte gerichtlich klären lassen, ob die Bezeichnung als „gesichert rechtsextremistisch“ überhaupt zulässig sei. In diesem Zusammenhang wurde die sogenannte Stillhaltezusage abgegeben – ein taktischer Rückzug auf Zeit. Die Bundesbehörde löscht die eigene Pressemitteilung von der Website, spricht nun öffentlich nur noch vom Verdachtsfall, und schweigt sich ansonsten aus. Ein Rückzieher mit Ansage – aber kein Eingeständnis. Juristisch sauber, politisch aufgeladen.

Die Leerstelle als Signal

Dabei geht es nicht um eine inhaltliche Neubewertung. Das BfV hat seine Einschätzung nicht revidiert. Es sagt lediglich: Wir sagen es nicht mehr – bis das Gericht entscheidet. Diese Form der Stillhaltung ist mehr als bloße Zurückhaltung. Es ist ein juristisch formulierter, aber tief politischer Akt: Der Staat hält inne, weil er angegriffen wird. Der Verfassungsschutz, der qua Auftrag extremistische Bestrebungen beobachten und öffentlich benennen soll, wird durch einen Rechtsstreit in eine Art Schwebezustand gezwungen. Die Gegner nutzen die Regeln der Demokratie, um deren Wächter zum Verstummen zu bringen.

Und diese Leerstelle, dieses absichtsvolle Nicht-Sagen, entfaltet seine ganz eigene Wirkung. In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, als sei die Hochstufung ein Fehler gewesen, als müsse sie vielleicht sogar zurückgenommen werden. Dass es sich lediglich um eine juristische Vorsichtsmaßnahme handelt, bleibt im Getöse der politischen Debatten schnell auf der Strecke. Der Eindruck von Unsicherheit, von Wankelmut – er spielt jenen in die Karten, die sich seit Jahren als Opfer eines „Tiefen Staates“ inszenieren, der angeblich unliebsame Meinungen unterdrückt. Es ist ein Spiel mit Symbolen – und wer Symbolpolitik versteht, weiß: Schweigen ist nie neutral.

Wahrheit auf Abruf

Die AfD jubelt. Natürlich. In ihrer Lesart ist die Stillhaltezusage ein Beweis für die politische Einfärbung der Verfassungsschutzarbeit. Die Argumentation ist bekannt und rhetorisch geschickt: Wenn man aufhören muss, etwas zu sagen, dann darf es wohl nicht stimmen. Dass die Wahrheit in diesem Fall lediglich in der Warteschleife hängt, interessiert wenig. In der Arena der öffentlichen Meinung zählt nicht das, was juristisch haltbar ist, sondern das, was hängen bleibt.

Und während die einen schweigen und die anderen jubilieren, bleibt das Bild eines Staates zurück, der sich selbst fesselt, um formal korrekt zu bleiben. Es ist die paradoxe Situation eines Rechtsstaats, der im Versuch, seine Gegner rechtlich korrekt zu behandeln, ihnen Raum zur Entfaltung gibt. So wie ein Arzt, der bei einem Giftanschlag erst akribisch prüft, ob das Gegengift wirklich zulässig ist – während der Patient schon taumelt.

Dass das BfV die AfD weiterhin als Verdachtsfall führen darf, mag wie ein schwacher Trost erscheinen. Doch genau hier liegt ein zentraler Punkt: Die Beobachtung ist nicht aufgehoben, nur der Ton hat sich geändert. Wer rechtsextreme Tendenzen sucht, wird sie nicht erst seit gestern in der AfD finden – man darf sie nur bis auf Weiteres nicht mehr mit dem vollen Etikett versehen. Ein Etikett, das zwar zutreffend sein mag, aber eben auch politisch schädlich – für die Partei, für die öffentliche Debatte, für den Ruf des Verfassungsschutzes selbst, sollte das Gericht anders entscheiden.

Was bleibt, ist Ungewissheit

Am Ende dieser juristisch-politischen Verschlingung steht eine Erkenntnis: Der Rechtsstaat ist nicht machtlos, aber er ist gebunden. Gebunden an das Prinzip der Sorgfalt, der Verhältnismäßigkeit – auch gegenüber jenen, die ihn verachten. Die Stillhaltezusage ist kein Schuldeingeständnis, kein Rückzieher im Sinne einer inhaltlichen Umkehr. Aber sie ist ein Moment des Innehaltens, ein Eingeständnis der eigenen Begrenztheit. Der Staat darf nicht alles sagen, was er weiß – zumindest nicht sofort.

Das bedeutet auch: Bis zu einem Urteil kann der Verfassungsschutz die AfD nicht als „gesichert extremistische Bestrebung“ einstufen. Und: Er darf sie auch nicht so beobachten. Die Schwelle, nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen, liegt bei einem bloßen Verdacht deutlich höher. Man hört das Rauschen der Akten, die auf Eis gelegt wurden, das leise Klicken von Mikrofonen, die nicht mehr mitlaufen – zumindest für den Moment.

Was bleibt, ist die paradoxe Situation eines Landes, das sich gegen seine Feinde nur in dem Maß zur Wehr setzen darf, wie es sich selbst seine Werkzeuge beschränkt. Es ist das Wesen der Demokratie, auch das Unangenehme zuzulassen – aber sie sollte nicht vergessen, wer daraus Kapital schlägt. Denn die Wahrheit darf auf Zeit schweigen – aber nicht auf Dauer.

Wer jetzt glaubt, der Spuk sei vorbei, weil der Verfassungsschutz schweigt, verwechselt Stille mit Entwarnung. Die „Stillhaltezusage“ ist kein Freispruch, sondern das Vorspiel zum Urteil. Die Vorwürfe wiegen schwer – zu schwer, als dass sie einfach verpuffen. Wenn am Ende das Gericht spricht, wird man sich erinnern: Es ging nie um Schweigen, es ging um Verantwortung. Und die steht der AfD bis zum Hals.

Infokasten: AfD und Verfassungsschutz – Hintergrund des Gutachtens

Im März 2021 stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Grundlage war ein über 1.000 Seiten umfassendes Gutachten, das interne Strukturen, personelle Verflechtungen mit der sogenannten „Identitären Bewegung“ und rassistische sowie demokratiefeindliche Tendenzen dokumentiert. Die Partei klagte dagegen und erreichte zunächst, dass das BfV seine Bewertung nicht öffentlich machen durfte. Im Frühjahr 2024 folgte die Hochstufung zur „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“, allerdings erneut angefochten – mit Erfolg: Aufgrund eines laufenden Eilverfahrens erklärte sich der Verfassungsschutz nun zu einer „Stillhaltezusage“ bereit. Bis zur gerichtlichen Entscheidung wird die AfD nicht offiziell als extremistisch geführt, sondern lediglich weiter als Verdachtsfall beobachtet. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel bleibt damit eingeschränkt.

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