Vom Bild zur Beute

von Carsten Bornhöft
Keine Angst vor Abmahnungen: Dieses Bild ist KI-generiert. Die dpa darf hier weitergehen – es gibt nichts zu holen.

Warum kleine Redaktionen dpa-Fotos meiden sollten – und was das über den Zustand der Presse sagt

Es beginnt meist harmlos. Ein Artikel über ein politisches Ereignis. Eine sachliche Überschrift. Eine wohlformulierte Einordnung. Und dazu ein Bild – irgendein Pressefoto mit Symbolkraft. Ein Porträt, ein Händedruck, ein Gebäude im Halbschatten. Es sieht aus wie ein Pressebild, es benimmt sich wie ein Pressebild – also behandelt man es auch wie eines. Man bindet es ein. Korrekt, höflich, professionell. Im Dienste der Information.

Ein paar Wochen später: eine Mail.
Nicht von einem Leser, nicht von einem Ministerium. Sondern von einer Kanzlei. Im Namen der dpa Picture-Alliance GmbH. Es geht um ein Bild. Und um Geld. Um ziemlich genau 257,39 €. Wobei: nicht für das Bild, sondern dafür, dass man es verwendet hat. Ohne Lizenz. Angeblich.

Was folgt, ist keine Diskussion, kein Gespräch, kein Hinweis. Sondern eine Zahlungsaufforderung. Mit Frist. Mit Drohung. Und mit einem Nachsatz, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: Bei ausbleibender Zahlung wird der gesamte Betrag sofort fällig – plus Einigungsgebühr, plus Anwaltskosten, plus alles, was sich aus dem Fall noch herausmelken lässt.

Willkommen im Jahr 2025.
Dem Jahr, in dem Pressebilder keine Geschichten mehr erzählen, sondern Rechnungen schreiben.

Die neue Arbeitsteilung

Die Deutsche Presseagentur – kurz dpa – ist der bedeutendste Nachrichtenlieferant dieses Landes. Ihre Bilder, ihre Texte, ihre Grafiken bestimmen den Takt der Medienwelt. Einst stand sie für Vertrauen, für Unabhängigkeit, für das Grundrauschen des Journalismus. Heute steht sie – zumindest in ihrer bildverwertenden Tochter – auch für etwas anderes: Für eine systematische juristische Verwertungskette, die mit Journalismus wenig, mit Geschäftsmodell aber sehr viel zu tun hat.

Die Picture-Alliance – also der Fotobereich der dpa – geht gezielt gegen kleinere Webseiten, Blogs und Medienprojekte vor, die vermeintlich ihre Bildrechte verletzen. Das an sich wäre noch verständlich, wenn nicht die Art und Weise zum Muster geworden wäre:
Keine vorherige Kontaktaufnahme. Keine freundliche Nachfrage. Keine Klärung im Sinne der Pressefreiheit. Stattdessen: automatisierte Bilderkennung via KI, Zuordnung über IP-Adressen, Einbindung von spezialisierten Kanzleien wie KSP, und das Ganze in einem Ton, der wenig mit Aufklärung und viel mit Abkassieren zu tun hat.

Bildjournalismus als Lizenzfalle

Die meisten kleinen Redaktionen arbeiten sauber. Sie verwenden lizenzfreie Bilder, eigene Aufnahmen, oder greifen auf Plattformen wie Unsplash, Pixabay oder Pexels zurück. Doch manchmal ist es ein Fehler im System: ein Plugin zieht ein Bild nach, eine alte Vorschau bleibt auf dem Server, ein Thumbnail wird nicht korrekt gelöscht. In solchen Fällen war früher ein Anruf üblich – heute ist es ein Inkassobrief.

Wenn ein Artikel mit einem Symbolbild illustriert wird, das keinerlei Verkaufswert hat, das vielleicht sogar aus einem öffentlich zugänglichen Kontext stammt – sagen wir: ein Mensch auf einer Straße, ein Sonnenuntergang, eine Demonstration oder eine politische Partei – dann ist die strenge juristische Verfolgung bei wenigen Zugriffen kaum mehr als ein Ritual der Einschüchterung. 40 Klicks sind kein Geschäftsmodell. Und ganz sicher kein wirtschaftlicher Schaden. Es ist ein Signal – das falsche.

Nein, es ist nicht dasselbe, ob jemand ein Video klaut, um es zu verkaufen – oder ein Bild verwendet, um einem Text Aussagekraft zu verleihen. Wer das gleichsetzt, hat den Unterschied zwischen Recht haben und Recht handeln nicht verstanden.

Besonders perfide: Manche Abbildungen stammen aus öffentlichen Presseportalen, in denen keine klaren Lizenzangaben gemacht werden. Wer dort ein Bild übernimmt – etwa im Vertrauen auf journalistischen Kontext – kann später trotzdem Post bekommen. Denn es geht nicht um Fairness. Es geht um Verwertbarkeit.

Der Schaden trifft nicht die Großen

Was dabei verloren geht, ist nicht nur Geld. Es ist Vertrauen. Und das ausgerechnet in einer Branche, die ohnehin ums Überleben kämpft. Die Abmahntätigkeit trifft selten große Verlagshäuser – dort sitzen Rechtsabteilungen, die solche Dinge abfangen. Sie trifft freie Journalisten, Redaktionsprojekte, Aufklärungsportale, kleine Verlage auf Selbstkostenbasis.

Dort, wo eigentlich Inhalte entstehen sollen, entsteht dann vor allem eins: Rechtsunsicherheit. Und am Ende Angst – vor dem nächsten Bild, dem nächsten Klick, dem nächsten Artikel.
Wenn Journalismus zu einer ständigen Urheberrechtsfalle wird, verlieren wir nicht nur Ressourcen, sondern vor allem Mut.

Der Trick mit der „freiwilligen“ Zahlung

Das Schreiben, das KSP verschickt, enthält keine klassische Abmahnung. Es ist eine sogenannte Zahlungsaufforderung mit Einigungsangebot. Juristisch ist das eine Grauzone – ein vorsichtig formulierter Drohbrief, dessen Ziel es ist, dass niemand nachfragt. Denn wer zahlt, erkennt die Schuld an. Und wer nicht zahlt, wird weiter bearbeitet.

Die Summe ist dabei psychologisch gewählt: knapp unterhalb der Schmerzgrenze, aber hoch genug, um Angst zu erzeugen. Viele zahlen einfach. Nicht, weil sie schuldig sind, sondern weil sie sich nicht wehren können. Oder weil sie glauben, etwas falsch gemacht zu haben – ohne zu wissen, was.

Was tun?

Für alle kleinen Redaktionen, Agenturen und Betreiber von Webmagazinen gibt es daher nur einen Rat:
Finger weg von dpa-Bildern auch wenn sie harmlos aussehen. Auch wenn sie „irgendwo erlaubt“ wirken. Auch wenn sie über Google auffindbar sind. Wenn kein klarer Lizenznachweis vorliegt, ist es besser, darauf zu verzichten. Und selbst wenn ein solcher Nachweis vorliegt, lohnt sich die Frage: Will ich wirklich mit einer Organisation zusammenarbeiten, die Pressebilder wie Lizenzfallen behandelt? Auch KEINEN direkten Kontakt zu den Anwälten, wenn das Kind im Brunnen gelandet ist. Besser ist es den Fall direkt an den hauseigenen Juristen zu übergeben oder an die in diesem Artikel genannten Juristen zu delegieren https://yivee.de/abmahnung-lizenz-zum-kassieren/

Und selbst wenn ein solcher Nachweis vorliegt, lohnt sich die Frage: Will ich wirklich mit einer Organisation zusammenarbeiten, die Pressebilder wie Lizenzfallen behandelt?

Der eigentliche Auftrag

Die dpa hat den Anspruch, den Journalismus mit Inhalten zu versorgen. Mit Fakten, Bildern, Stimmen, Szenen. Sie könnte ein Bollwerk gegen Desinformation sein, ein Fundament der Pressefreiheit, ein Partner für den unabhängigen Journalismus.

Doch stattdessen hat sie – zumindest in Teilen – ein zweites Geschäftsmodell etabliert: Das Verfolgen und monetarisieren von Bildnutzungen. Nicht immer, nicht überall, aber systematisch genug, um misstrauisch zu machen.

Das Ende des Journalismus

Viele kleine Verlage, Bloggerinnen, freie Autorinnen und Idealisten machen jeden Tag etwas, das man früher schlicht Journalismus nannte. Meist ohne Redaktion, oft ohne Honorar, aber mit Haltung. Was ihnen fehlt, ist selten die Recherche, sondern fast immer: ein Bild. Ein Symbol, ein Eindruck, ein Anker für den Text.

Und also öffnet man – gutgläubig – ein Presseportal. Eines, das von News-Aktuell betrieben wird, also letztlich von der Deutschen Presse-Agentur selbst. Man nimmt ein Bild, unbedarft. Speichert nicht die URL, notiert kein Datum, prüft keine Lizenzzeile. Man will den Artikel einfach fertigstellen. Ein Foto, das passt – schnell, sauber, journalistisch.

Doch in der Stille des Netzes sitzt bereits jemand mit Scanner und Absicht. Die dpa ist längst nicht mehr nur Nachrichtenlieferant. Sie ist auch Rechteverwerterin. Und aus der Hoffnung, ein Bild zu finden, wird eine Rechnung. Nicht selten zwischen 150 und 2.500 Euro – für ein Symbolbild, das den Text nie verkauft, nur begleitet hat.

Die Gier hat das Bild ersetzt. Der Journalismus, der einst Partner war, ist zum Gegner gemacht worden.
Nicht weil wir etwas gestohlen haben – sondern weil die Regeln so unklar wie profitabel sind.

Dabei wäre vielfältiger Journalismus notwendiger denn je – um Strömungen abzubilden, Stimmen zu hören, Risse sichtbar zu machen. Doch wenn dieser Journalismus durch Bildfallen untergraben wird, wenn aus Aufklärung Einschüchterung wird, dann muss man sagen:

Armes Deutschland.

Es gibt jedoch ein großes „Aber
Wer sich auf diese Spielregeln nicht einlässt, verliert kein Foto. Er gewinnt Entscheidungsfreiheit.
Denn längst bieten KI und freie Bilddatenbanken eine Bandbreite, die ausreicht, um selbst traditionsreiche Stockagenturen unter Druck zu setzen – wirtschaftlich wie ethisch.

Pressefreiheit heißt eben auch: frei entscheiden zu dürfen, welche Quellen man sich ins Haus holt – und welche lieber nicht.

Sie können ihre Bilder gerne behalten.
Wir machen lieber wieder Journalismus.

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