Die zerrissene Verbindung: Wie die Landwirtschaft und ihre Nischenprodukte im Kapitalismus verkümmern. Es gibt Momente, in denen sich die Welt in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit offenbart. In denen die Bilder und Symbole, die uns einst eine Richtung gaben, jetzt blass und verbraucht wirken, wie alte Fotos in einem vergilbten Album. Die Schafwolle ist eines dieser Bilder – einst Symbol für nachhaltige Landwirtschaft, für den unsichtbaren Faden, der Mensch und Natur verband, ist sie heute zu einem traurigen Relikt einer Zeit geworden, die uns längst entfremdet ist.
Schafwolle – vom wertvollen Erzeugnis zum Müllprodukt
Es ist ein bitterer Fakt der Geschichte – und es ist die Aufgabe solider Traditionen, diesen Wandel zu begreifen und nicht einfach hinzunehmen. Die Gründe für diesen Niedergang sind so vielfältig wie erschreckend banal: Globalisierte Lieferketten, die Produktion in Billiglohnländern, ein Modemarkt, der auf schnelle Zyklen und synthetische Stoffe setzt, und eine Konsumhaltung, die Echtheit mit Aufwand und Handarbeit mit Altmodischem verwechselt. So wurde aus Wolle ein Nebenprodukt ohne Markt – zu teuer in der Verarbeitung, zu arbeitsintensiv im Ursprung, zu wenig kompatibel mit einem System, das Wert nur in Marge und Masse misst.
Man könnte sich fragen, was aus den vielen Menschen geworden ist, die ihr Leben der Pflege von Tieren und den Kreisläufen der Natur verschrieben haben. Der Schäfer, der einst stolz auf die Ernte seiner Tiere blickte, muss heute mit der bitteren Realität kämpfen: Kein Mensch interessiert sich mehr für die Wolle, die in seiner Schafherde wächst. Und das Fleisch, das er züchtet? Es kommt aus der Massenproduktion, so wie alles, was wir konsumieren, heute von einer Massenlogik bestimmt wird.
Der unstillbare Durst nach Massenproduktion
Es scheint beinahe, als sei der Kapitalismus mit einem unersättlichen Hunger gesegnet, der immer nach mehr schreit, nach der nächsten Erfindung, dem nächsten Fortschritt. Fortschritt – ein Begriff, der mehr und mehr seine Bedeutung verliert, wenn man den Blick über die prall gefüllten Regale in den Supermärkten wirft, die von Künstlichkeit und Plastik nur so strotzen. Was früher organisch, handwerklich und authentisch war, ist heute eine Masse, die sich selbst in ihre Einzelteile zerlegt, um am Ende als Teil eines globalen Konsumrausches dazuzugehören. Die Wolle, die einst die Finger des Schäfers umschloss, die mit jedem Schaf – mit jedem einzelnen Tier – eine Geschichte erzählte, wird in einer Welt, die von Maschinen und Fabriken beherrscht wird, nicht mehr gehört.
Die Kinder von heute wissen nicht mehr, dass Fleisch aus lebenden Tieren kommt. Sie kennen keine Geschichten von der Schur der Schafe, von der Pflege der Tiere, vom Zaun, der die Wiese abgrenzt. Für sie ist Fleisch ein Produkt, das man aus einem Regal nimmt – so steril und wenig bezeichnend wie die Wurstpackung in der Kühlung. Diese Entfremdung ist nicht nur ein Verlust an Wissen, sondern auch ein Verlust an Wahrhaftigkeit. Es ist ein Schatten, der über uns schwebt und uns die Kraft raubt, uns mit den Dingen, die uns einst näherten, wieder zu verbinden.
Erdöl statt Erde – Der wahre Feind
Es gibt eine Geschichte, die nicht erzählt wird, aber die in allem, was wir konsumieren, spürbar ist: Die Erde ist die Quelle, die uns nährt, aber der Kapitalismus hat sie zu einer Ware gemacht. Ein Produkt, das es zu optimieren gilt, das man zähmen muss, damit es dem unaufhörlichen Durst nach Konsum und Wachstum gerecht wird. Warum aber, fragt man sich, wenn es die Erde ist, die uns all das gibt, warum dann nicht auf sie zurückgreifen? Warum fluten wir unsere Märkte mit Produkten aus Erdöl, aus Chemikalien, aus synthetischen Materialien, die uns entfernter und entmenschlichter machen? Warum verwerfen wir die natürlichen Rohstoffe, die uns zustehen?
Noch absurder wird es, wenn man bedenkt, dass wir all diese künstlich hergestellten Produkte rund um den Globus transportieren – in Containerschiffen, Lastwagen, Güterzügen und Flugzeugen. Und doch: Der Einfluss dieser gewaltigen Logistik auf den Endpreis ist erstaunlich gering. Die Kosten für Transport sind nicht der entscheidende Faktor. Viel gravierender ist die Tatsache, dass sich hinter diesen globalen Bewegungen eine Entwertung der regionalen Ressourcen verbirgt – als sei Nähe kein Wert mehr, als sei Verfügbarkeit wichtiger als Herkunft. Dabei ist es durchaus nachvollziehbar, dass wir in Westeuropa unseren Kaffee aus Guatemala oder unseren Tabak aus den USA beziehen – weil diese Produkte dort gedeihen, nicht hier. Doch es ergibt kaum Sinn, Rindfleisch aus Südamerika zu importieren, wenn wir in der Lage sind, es selbst zu erzeugen – nachhaltig, regional und unter Bedingungen, die wir kontrollieren können. Dasselbe gilt für viele Alltagswaren, die wir in China produzieren lassen, obwohl sie hier gefertigt werden könnten. Stattdessen flutet uns China mit billigen Plastikprodukten, nicht etwa aus reiner Großzügigkeit, sondern weil es die eigene Bevölkerung beschäftigen und ernähren muss. Der globale Handel ist längst kein Mittel des Austauschs mehr, sondern ein Ventil für geopolitische Spannungen und wirtschaftliche Verdrängung.
Das ist der Kern des Problems: der Kapitalismus. Dieser Durst, der uns nicht nur zum Konsum, sondern auch zum Zerstören anstachelt. Wie lange kann das System weiter existieren, wenn es die Ressourcen der Erde aufbraucht, ohne die notwendigen Bedingungen für ihre Regeneration zu respektieren? Die Antwort liegt auf der Hand: nicht lange. Doch die Lösung? Sie liegt nicht in der Rückkehr zu einem idyllischen Bild vergangener Zeiten, sondern in einer neuen, realistischen Sicht auf den Wert von Natur und Tradition. Diese Sicht muss die Politik verstehen und fördern.
Kapitalismus und seine Feinde – Ein irreführender Widerstand
Ironischerweise sind es gerade diejenigen, die gegen den Kapitalismus wettern, die ihm in die Arme laufen. Sie fordern die Rückkehr zu einer Authentizität, die sie gleichzeitig der Massenproduktion und dem schnellen Profit geopfert haben. Die Widersprüche in ihren Argumenten sind so offensichtlich wie die verlogenen politischen Rhetoriken, die sie vertreten. Die AFD, die mit ihren Parolen angeblich gegen den Kapitalismus und für unsere Werte kämpft, stellt in Wahrheit nichts anderes dar als eine Absage an das, was die wahre Lösung ist: Eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation, die die Werte von Handwerk, Tradition, Verantwortung und Miteinander aller Gesellschaftsschichten wieder in den Mittelpunkt stellt.
Die wahre Herausforderung besteht darin, diese Handwerker, die das natürliche Erbe pflegen, zu unterstützen und ihre Produkte zu bewahren. Es bedarf eines Schutzes, der ihre Betriebe vor der ständigen Bedrohung durch Massenproduktion schützt und der Natur den Platz zurückgibt, der ihr zusteht. Denn wenn der Kapitalismus den Handel mit der Erde in die falschen Hände gibt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis er sich selbst in den Abgrund stürzt. Politische Prozesse steuern diese ganzen wirtschaftlichen Mechanismen, und es bedarf einer Politik, die nicht nationalistisch denkt, sondern wieder beginnt, für die Menschen zu denken – nicht für die Industrie. Die jetzige Bundesregierung – da brauchen wir kein Wort mehr zu verlieren – ist eine Ansammlung von Kapitalisten, Lobbyisten und Leuten, denen die Augen vor Gier heraustreten. Wir müssen uns hier sehr genau vor Augen führen, dass Klöckner und Nestlé keine Einzelfiguren, sondern Ausdruck eines Systems sind. Nestlé steht exemplarisch für die Aneignung natürlicher Ressourcen – sie rauben den Menschen das Grundwasser und verkaufen es ihnen dann teuer zurück. Und eine deutsche Politikerin betreibt offen Lobbyarbeit für genau diesen Konzern. Klöckner wiederum symbolisiert die Verbindung von politischem Amt und wirtschaftlicher Nähe – ein System, das den Boden bereitet hat für die Aushöhlung unserer öffentlichen Güter. Friedrich Merz, einst BlackRock-Lobbyist und heute Bundeskanzler, steht sinnbildlich für den fließenden Übergang zwischen Kapitalinteresse und politischem Anspruch. Und auch Katharina Reiche, die einst Staatssekretärin im Umweltministerium war und dann nahtlos in führende Positionen der Energiewirtschaft wechselte, zeigt: Hier geht es nicht um Menschen, sondern um Macht. Ihre Lobbyarbeit mag der Wirtschaft dienen, doch sie untergräbt das Vertrauen in Demokratie, zerstört bäuerliche Existenzen und entkoppelt politische Entscheidungen von kulturellen und sozialen Realitäten.
Wir wissen, wer sie sind. Wir wissen, wie sie sind. Und wir müssen uns mit aller Behutsamkeit, aber auch aller Entschlossenheit dagegenstellen: dass eine entgrenzte Wirtschaft unsere Traditionen, unsere Gepflogenheiten und unsere regionalen Möglichkeiten zerstört. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Nationalität jemand angehört – auch ein geflüchteter Syrer kann ein Schafhirte werden. Und das ist vielleicht das Schönste am Menschsein: Es ist fähig zur Anpassung. Es ist fähig zur Würde. Und er wird, irgendwann, seine Stimme erheben – nicht als Aufschrei, sondern als ruhige, unüberhörbare Bewegung. Die Menschen werden wach werden. Denn das Meer ist endlich – und auch die Geduld derer, die längst begriffen haben, dass Würde nicht an Stückzahlen gemessen wird.
ⓘ Schafwolle ist in Deutschland ein klassisches Nebenprodukt: Die Produktion lohnt sich wirtschaftlich kaum, weil die industrielle Textilwirtschaft synthetische Materialien bevorzugt. Laut Angaben des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft (BZL) wurden 2022 rund 700 Tonnen Wolle produziert – doch ein Großteil davon landet ungenutzt oder wird mit staatlicher Unterstützung entsorgt. Denn das Meer ist endlich – und auch die Geduld derer, die längst begriffen haben, dass Würde nicht an Stückzahlen gemessen wird.
Quellen-Nachweis:
Lobbycontrol, „Katharina Reiche – Vom Ministerium in die Energiewirtschaft“, 2020: https://www.lobbycontrol.de/reiche-lobbyismus-energiewirtschaft/
Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL), Zahlen zur Schafhaltung 2022: https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/landwirtschaftliche-tierhaltung/schafhaltung.html
Deutschlandfunk Kultur, „Wertlos: Die traurige Geschichte der Schafwolle“, 12.03.2021: https://www.deutschlandfunkkultur.de/wolle-schaf-schur-100.html
Correctiv, „Nestlé, Wasserrechte und die Politik“, 2023: https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2023/03/28/nestle-wasserrechte-und-lobbyismus
Süddeutsche Zeitung, „Merz, BlackRock und die Nähe zur Macht“, 2022: https://www.sueddeutsche.de/politik/merz-blackrock-politik-1.5537729