Stellen Sie sich vor, Karl Kraus hätte heute Twitter, Loriot säße im Bundestag, und Tucholsky müsste sich vor dem Amtsgericht Bamberg verantworten – wegen eines schlecht gefotoshoppten Plakats. Willkommen in der Republik der gekränkten Hoheiten, in der sich die Politik mit Satire duelliert und der Rechtsstaat mit Symbolen überfordert scheint.
Die Fotomontage als Staatsaffäre
Ein bearbeitetes Foto – darauf Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit dem Schild „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ – führte zu einem Strafverfahren. Kein schlechter Scherz, keine aufgeregte Talkshowdebatte, sondern ein echter Gerichtstermin. David Bendels, Chefredakteur des AfD-nahen DeutschlandKurier, wurde dafür zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.
Man muss diesen Mann nicht mögen. Und seine Publikation auch nicht. Aber wer glaubt, Meinungsfreiheit sei selektiv zu vergeben – nur an Menschen mit Haltung, Stil und progressivem Weltbild – hat das Prinzip Demokratie nicht verstanden. Pressefreiheit ist universell oder sie ist nichts. Und wenn Satire nur dann erlaubt ist, wenn sie einem gefällt, dann sind wir näher an Moskau als an Mainz.
Das Bild? Geschmacklos. Überspitzt. Vielleicht dumm. Aber keine Straftat. Vielmehr ein verzweifelter Versuch, auf das aufmerksam zu machen, was vielen Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich Sorgen bereitet: ein zunehmend empfindlicher Staat, der auf Kritik nicht mit Argumenten, sondern mit Paragraphen antwortet.
Zum Übertreibungsgestus der Satire gehört bereits seit Kurt Tucholsky, dass sie, mit einem juristischen Begriff gesagt, Personen der Zeitgeschichte der Lächerlichkeit preisgibt, lustvoll und ohne Rücksicht auf Tabus.
Der Staat im Porzellanladen
Innenministerin Faeser selbst hatte in der Bundespressekonferenz betont: „Wer den Staat verhöhnt, bekommt es mit einem starken Staat zu tun.“ Eine Aussage, die das demokratische Selbstverständnis eher in Frage stellt als verteidigt. Denn Stärke zeigt sich im Aushalten, nicht im Auskeilen. Wer das nicht erkennt, hat den Wert von Freiheit durch eine Sicherheitsbrille betrachtet, die innen beschlägt.
Dass die Ministerin das manipulierte Bild zunächst gar nicht kannte, sondern von der Kriminalpolizei auf die Existenz aufmerksam gemacht wurde, gibt dem Ganzen eine zusätzliche Schlagseite. Anzeige auf Zuruf? Staatsanwaltschaft per Tippdienst? Wenn die Polizei schon selektiv Medien durchforstet, um Politiker vor Satire zu schützen, dann fragt sich: Wer schützt uns vor der Polizei?
Dass ein Richter aus dieser Situation ein Strafmaß formt, das beinahe absurd anmutet, verwundert nicht nur kritische Journalisten. Gerichte sind keine moralischen Instanzen. Sie urteilen nicht über Geschmack, sondern über Gesetze. Und ein Gesetzesverstoß, der hier konstatiert wurde, ist in etwa so logisch wie ein Strafzettel für ein Verkehrsschild mit schlechtem Witz.
Dass der Richter, der dieses Urteil sprach, womöglich einige juristische Grundprinzipien nicht ausreichend gewürdigt hat, mag in der öffentlichen Debatte eine Rolle spielen – rechtlich jedoch nicht. Denn Gerichte sind keine Tempel der Empörung und auch keine Notfallstationen für politische Gesichtsrettung. Sie sind – in ihrer besten Form – Hüter des Gesetzes, nicht der Moral. Und ein Gesetzesverstoß, der aus einer satirischen Bildmontage konstruiert wird, ist so naheliegend wie ein Blitzerfoto, das einen Pappaufsteller von James Dean beim Rasen zeigt.
Umso bemerkenswerter ist, dass selbst aus den Reihen der Ampel eine gewisse Distanz zur Strafverfolgung durchscheint. Ricarda Lang, sonst nicht eben zimperlich, wenn es um das Einhegen politischer Gegner geht, äußerte sich überraschend deutlich: Der Vorgang, so Lang, habe bei ihr „eine gewisse Empörung hervorgerufen“. Wer solche Sätze aus dem politischen Zentrum hört, merkt: Hier geht es nicht mehr nur um Bendels. Hier geht es um Prinzipien.
Hausdurchsuchung statt Haltung
Der Fall Bendels ist kein Einzelfall. Wer sich die Empörungsspirale der letzten Monate anschaut, erkennt ein Muster. Poster werden kriminalisiert, Flugblätter medienwirksam beschlagnahmt, Satiriker mit Hausdurchsuchungen „beehrt“. Prominent beteiligte Namen: Strack-Zimmermann, Baerbock, Habeck. Namen mit Macht – aber offenbar mit sehr dünner Haut.
Dabei hätte man all das auch mit einem Satz kontern können. Mit einem Tweet. Mit einem Lächeln. Doch stattdessen: Strafrecht. Der Staat als beleidigte Leberwurst. Wer so regiert, fördert nicht die Demokratie – er beschädigt sie.
Und wer glaubt, durch übertriebene Härte gegenüber rechten Medien werde deren Einfluss geschwächt, irrt doppelt. Denn jeder überzogene Zugriff wird als Bestätigung verstanden – von denen, die sich ohnehin schon im Widerstand wähnen. Wer Rechtsextremen den Märtyrerstatus schenkt, gießt Öl ins Feuer, das längst brennt.
Pressefreiheit ist nicht verhandelbar
David Bendels ist nicht unser Freund. Und der DeutschlandKurier ist sicher kein Leitmedium. Aber das spielt hier keine Rolle. Denn wer glaubt, dass Meinungsfreiheit abhängig ist von Sympathie, hat das Grundgesetz nicht verstanden. Die Pressefreiheit schützt auch die, deren Meinung wir nicht teilen. Vor allem die.
Ein manipuliertes Bild ist keine Freude. Aber auch kein Verbrechen. Es ist ein Kommentar – vielleicht ein geschmackloser, aber eben einer, der in einer Demokratie erlaubt sein muss. Wenn Faeser ein Schild mit der Aufschrift „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ in der Hand hält, dann ist das kein Angriff auf die Republik – sondern ein Fingerzeig auf das, was in diesem Land aus dem Ruder läuft.
Zuviel ist zuviel.
ⓘ Hinweis zur redaktionellen Haltung
Dieser Artikel dient der freien journalistischen Meinungsbildung und versteht sich als Beitrag zur öffentlichen Debatte über Pressefreiheit, Recht und politische Verantwortung. Die Redaktion von Yivee distanziert sich ausdrücklich von antisemitischen, rechtsradikalen oder demokratiefeindlichen Positionen.
Auch wenn im Artikel Akteure genannt werden, die dem AfD-nahen Spektrum zugeordnet werden, verfolgen wir keine parteipolitische Agenda und lehnen jede Form der Instrumentalisierung ab, mit der demokratische Institutionen unterminiert werden sollen. Kritik am Staat bedeutet für uns nicht Ablehnung der Demokratie, sondern ihre lebendige Verteidigung.