In Reflexion auf die Landratswahlen in Sonneberg vor gut zwei Jahren müssen wir uns kritisch damit auseinandersetzen, wie die AfD, die dort seitdem den Landrat stellt, mit den bestehenden Problemen und den Menschen im Landkreis umgeht. Es geht nicht um parteipolitische Stimmung, sondern um eine nüchterne Betrachtung dessen, was angekündigt wurde – und was eingetreten ist.
Es war ein Paukenschlag, den viele als politisches Erdbeben bezeichneten: Die Wahl von Robert Sesselmann zum Landrat des thüringischen Landkreises Sonneberg – als erster AfD-Mann in einem solchen Amt. Zwei Jahre sind seitdem vergangen, genug Zeit, um eine Bilanz zu ziehen. Der Hoffnungsträger vieler Protestwähler, die von den Altparteien enttäuscht waren, versprach einen Neuanfang, eine Entschlackung der Verwaltung, ein Ende der angeblichen „Altlastenpolitik“. Doch nun, im Realitätscheck, bleibt vom Pathos nicht viel übrig. Der Landrat kocht auch nur mit Wasser. Und das Wasser wird knapper.
Wir in der Redaktion sind ständig bemüht, den Stand der Dinge abzubilden – mit offenem Blick auf alle politischen Lager. Ob AfD, CDU, SPD oder andere Parteien: Wir beobachten, recherchieren und bewerten nach dem, was sichtbar wird – nicht nach Parteifarbe. Und derzeit sehen wir vor allem eines: ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.
Der Landkreis Sonneberg steht finanziell mit dem Rücken zur Wand. Schulen werden geschlossen, Investitionen bleiben aus. Die Schließung einer Grundschule nach 116 Jahren wurde zur bitteren Realität – nicht aus didaktischen Gründen, sondern schlicht aus Geldmangel. Der Haushalt ist tiefrot, eine Konsolidierung, so hieß es im Wahlkampf noch vollmundig, werde rasch eingeleitet. Heute spricht man von einem Zehn-Jahres-Plan. Es klingt wie ein schlechter Scherz. Wer auch nur ansatzweise kommunalpolitische Erfahrung hat, weiß, dass solche strukturellen Defizite nicht mit rhetorischem Sperrfeuer und ideologischem Gejammer zu beheben sind. Doch Sesselmann suggerierte genau das – und viele fielen darauf herein.
Statt kluger Prioritätensetzung wird an Symbolen gespart. Besonders deutlich wurde das beim Programm „Demokratie leben“: Robert Sesselmann wollte dieses Förderprojekt abschaffen und die notwendigen Mittel aus dem Kreishaushalt streichen – obwohl es mit einem Eigenanteil von 35.000 Euro eine Förderung von rund 160.000 Euro ausgelöst hätte. Der Kreistag folgte diesem Vorschlag allerdings nicht. Eine Mehrheit sprach sich gegen die Streichung aus. Gerade in einem Landkreis, der sich von einem rechtsextremen Image distanzieren müsste, wäre das ein Gebot der politischen Klugheit gewesen. Stattdessen herrscht jetzt ein Klima des Schweigens: Integrationsbeauftragte fehlen, ehrenamtliche Helfer ziehen sich zurück, und wer sich öffentlich äußert, muss mit Angriffen rechnen. Die Zivilgesellschaft verstummt, weil der politische Ton rauer wird – und der Landrat gibt die Richtung vor.
Der Schein der Veränderung – und die Rückkehr der alten Probleme
Robert Sesselmann kündigte an, Sonneberg digitalisieren zu wollen, Schulen zu bauen und Kreisstraßen zu sanieren. Passiert ist bisher wenig. Dafür nimmt die Zahl rechtsextremer Straftaten zu – sie hat sich verfünffacht. Die Korrelation ist kein Zufall. Wer eine politische Atmosphäre schafft, in der Demokratieprogramme gestrichen und antipluralistische Rhetorik hoffähig gemacht werden, der stärkt nicht die Mitte, sondern die Ränder. Währenddessen bricht ein weiterer Pfeiler der öffentlichen Daseinsvorsorge ein: Die lokale Klinikgruppe schreibt Millionenverluste, eine Privatklinik ist bereits insolvent. Es sind keine neuen Probleme, doch Sesselmanns Ankündigungen suggerierten, er könne mit einem ideologischen Besen kehren, wo jahrzehntelange Strukturprobleme lasten.
Doch mit Parolen lässt sich kein Haushalt sanieren, keine ärztliche Versorgung sichern und kein Vertrauen wiederherstellen. Dass der Landrat dann auch noch in Schulen auftaucht und dort – vor Grundschulkindern – Werbung für die AfD macht, lässt an seiner politischen Urteilskraft zweifeln. Es geht hier nicht um die Frage, ob Kinder politische Bildung brauchen – sondern um die Grenzüberschreitung eines Amtsinhabers, der zwischen Mandat und Parteisoldat nicht unterscheiden kann. Kinderschminken und Glitzertattoos im einen Moment, AfD-Parolen im nächsten – das ist keine Pädagogik, das ist Propaganda.
Spaltung als politisches Prinzip – Sonneberg in der Sackgasse
Der Tourismus stagniert, Industrie wandert ab, viele junge Menschen verlassen die Region. Sonneberg steckt in einer Dauerrezession. Und nun soll ausgerechnet eine Partei, die mit Ressentiments statt Konzepten arbeitet, den Weg in die Zukunft weisen? Das erscheint zunehmend illusorisch. Der Bürgermeister vor Ort betont, dass die Zusammenarbeit mit dem Landrat funktioniere – doch das Klima im Landkreis sei gespalten wie nie. Wer links denkt, sozial fühlt oder sich für Geflüchtete einsetzt, lebt gefährlich. Das politische Klima vergiftet die gesellschaftliche Wirklichkeit.
Beate Meißner von der CDU brachte es auf den Punkt: „Ich würde mir wünschen, dass er sich mehr als Landrat und weniger als Parteisoldat wahrnimmt.“ Es war wohl der letzte diplomatische Appell – eine ausgestreckte Hand, die kaum noch jemand ergreifen will. Denn was bleibt, ist eine bittere Erkenntnis: Der politische Wandel, den viele wollten, bleibt aus. Stattdessen regiert in Sonneberg eine Parteihaltung, die lieber streicht als gestaltet, lieber agitieren lässt als aufklärt, und lieber spaltet als verbindet. Das muss man wissen, wenn man beim nächsten Mal wieder ein Kreuz machen will – denn mit Wasser kochen sie alle. Aber manche lassen es vorher verdampfen.
ⓘ Die Landratswahl in Sonneberg fand 2023 in zwei Wahlgängen statt. In der Stichwahl am 25. Juni setzte sich Robert Sesselmann (AfD) mit 52,8 % gegen den CDU-Kandidaten Jürgen Köpper durch. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 60 %. Es war das erste Mal, dass ein Kandidat der AfD ein Landratsamt in Deutschland gewann. Zahlreiche Medien stuften die Wahl als Signal für eine wachsende politische Radikalisierung ein.
Quellen-Nachweis ZDF heute, MDR.de, Der Spiegel, Volksverpetzer.de, Vorwärts.de, Thüringer Allgemeine, Tagesspiegel, Süddeutsche Zeitung (Stand: Juni 2025)